Kommentar Ohnesorg-Schütze: Verschwörungstheorie fehl am Platz

Die Tatsache, dass der Ohnesorg-Schütze Kurras für die Stasi arbeitete, heisst nicht, dass wir unsere Geschichtsschreibung ändern müssen.

Kaum war bekannt geworden, dass Karl-Heinz Kurras ein Stasispitzel war, begann es in der Küche der Verschwörungsspezialisten zu brodeln. Könnte es nicht doch sein, dass Kurras den Studenten Benno Ohnesorg im Auftrag der DDR-Staatssicherheit erschossen hat? Der Historiker Müller-Enbergs, der zusammen mit Cornelia Jabs die Akte Kurras aufgefunden hat, sieht kein Indiz für einen Auftragsmord.

Aber schon hören wir aus dem Mund des CDU-Sicherheitsexperten Gram, gerade dieser könne nicht endgültig ausgeschlossen werden. Der Verschwörungstheoretiker fragt in solchen Fällen nicht nach den Fakten, sondern: "Wem nutzt es?" Hat nicht die Tötung des Studenten Ohnesorg zur Ausweitung, zur Radikalisierung der Studentenrevolte und zu einer nachhaltigen Delegitimierung des Westberliner Senats geführt? Da spielt es keine Rolle, dass die Akten eher von der Furcht der Stasileute sprechen, Kurras könnte Diener zweier Herren, also auch des Verfassungsschutzes, gewesen sein.

Muss wegen des Aktenfundes jetzt die Geschichte des 2. Juni 1967 neu geschrieben werden? Das, so die Antwort, ist absoluter Unsinn, denn die Tat von Kurras ist und bleibt Ausdruck des zur Hysterie gesteigerten Hasses auf die Studentenbewegung, der in Teilen der Westberliner Bevölkerung und im Westberliner Polizeiapparat grassierte. Hätte die Studentenbewegung einen anderen Verlauf genommen, wenn die Spitzeltätigkeit von Kurras damals aufgedeckt worden wäre? Vielleicht bei einigen westdeutschen Liebhabern der DDR.

Aber gerade in Westberlin bedurften die linken Studenten keiner Nachhilfe in ihrer kritischen Haltung zum Herrschaftssystem in der DDR. Mangelnde Wachsamkeit, gar Leichtgläubigkeit kann ihnen hier nicht vorgeworfen werden. Der bürokratische, unterdrückerische Charakter des Realsozialismus stand ihnen deutlich genug vor Augen. Eher waren sie geneigt, die repressiven Apparate in beiden deutschen Staaten auf die gleiche Stufe zu stellen. Kein Wunder, dass die Anwerbungsversuche bei der radikalen Linken in Westberlin fast keine Resultate zeitigten.

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