Wie denkt die Schildkröte?

POP Ein Künstlerbuch von Schorsch Kamerun und Andy Hope 1930

Ich werde es demnächst mit Zuständen statt mit Aufführungen versuchen. Vielleicht bin ich ja ein falscher Sänger vor einem falschen Publikum.“ Von Schorsch Kameruns Zweifeln an der Welt oder an sich selbst hört und liest man gern, weil sie meist auch poetisch und mit Humor vorgebracht werden.

Wer gern mal mehr von Schorsch Kamerun am Stück lesen will, wird mit dem Band „Am Abend sollte ich die Nacht ertragen“ allerdings nicht glücklich werden. Es erwartet einen zwar ein längerer Text, es handelt sich aber, wie vom Hamburger Musiker und Theaterregisseur gewohnt, um eine Collage aus seinen Arbeiten, die beim Lesen in Fragmente zerfällt. Einen „beschleunigten Cut-up-Monolog“ nennt das der herausgebende Wiener Harpune-Verlag mit dem ihm eigenen Willen zur Kunst.

Kameruns Text trifft auf Zeichnungen und Collagen des Berliner Künstlers Andy Hope 1930 (Andreas Hofer), der sich bei Ikonen der vor allem amerikanischen Popkultur bedient. Superheldencomics haben es ihm dabei ganz besonders angetan. Seine Bilder bewegen sich von grotesker Kritzelei bis zur Klebecollage, in der Superman einen überdimensionierten Superheldinnenkörper bekommt.

So heroisch wie unbeholfen sieht der Weltenretter dabei aus, dass man laut lachen muss. Kamerun ist ähnlich unterhaltsam, etwa wenn er reimt: „Manchmal seh ich fern / Manchmal dich ganz gern.“ Eine Begegnung mit der Riesenschildkröte Lonesome George bringt ihn zur Erkenntnis, dass dieses Tier möglicherweise seit 157 Jahren versucht (hat), einen einzigen Gedanken zu Ende zu denken.

„Künstlerbuch“ nennt man so eine wirklich schöne Ausgabe in gelbem Leinen, in Bleisatz gedruckt und herausgegeben in limitierter Auflage. Das würde man immer wieder gern in die Hand nehmen – bliebe es nicht inhaltlich so sperrig. Und das liegt weniger an Autor und Künstler als daran, dass aus der Begegnung von Text und Bild keine Schnittmenge entsteht. Die beiden bleiben sich, trotz ihres Humors und der gemeinsamen Nähe zur Popkultur, eher fremd. Fast ist man versucht, den Band wieder auseinanderzunehmen. Ein paar Bilder von Hope an die Wand, ein paar Sätze Kamerun unters Kopfkissen, und auch der schöne gelbe Einband könnte ganz für sich stehen.

DIRK SCHNEIDER

Schorsch Kamerun, Andy Hope 1930: „Am Abend sollte ich die Nacht ertragen“. Harpune Verlag, Wien 2012, 64 Seiten, 70 Euro