: USA entscheiden über das Internet
UN-Gipfel hat Streit über die Oberaufsicht des Internets beigelegt: Die Kontrolle bleibt bei US-Handelsministerium, das weiterhin die Icann beauftragt. Ein internationales Gremium soll Icann beraten – Empfehlungen sind aber nicht bindend
VON NIKLAUS HABLÜTZEL
Seit Monaten sorgt die Frage für internationale Verstimmungen: Wer darf das Internet kontrollieren? In der Nacht zum Mittwoch einigten sich 170 Staaten auf einen Kompromiss – noch bevor der UN-Gipfel über die Informationsgesellschaft in Tunis offiziell startete. Die neue Verständigung sieht vor, dass die Oberaufsicht über die Internetadressen weiterhin beim US-Handelsministerium verbleiben darf, das wiederum wie gewohnt die private Organisation Icann mit der Verwaltung beauftragt. Allerdings soll Icann nun ein zusätzliches Beratergremium einrichten, das über transnationale Fragen des Datenverkehrs im Internet diskutieren und Empfehlungen abgeben soll. Dieses „Intergovernemental Forum“ soll von Regierungsvertretern besetzt sein, seine Beschlüsse sind für das Direktorium der Icann jedoch nicht bindend.
In seiner Eröffnungsrede verlangte der UNO-Generalsekretär Kofi Annan gestern weitere Verhandlungen. Schon seit Jahren fordern etwa China und die EU, dass die Verwaltung der Internetadressen der UNO übertragen werden soll. Allerdings räumte Annan gestern ein, dass die Vereinten Nationen wohl nicht die „geeignete Institution für eine Internetregierung“ seien. Es spricht daher viel dafür, dass die Konferenz den Kompromiss bestätigt.
Damit haben sich die USA durchgesetzt. Sie hatten keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie gar nicht daran denken, die Aufgaben der Icann einer internationalen Organisation zu übertragen. Das amerikanische Misstrauen gegen die UNO ist nicht erst seit der Bush-Regierung groß. Die Icann war 1998 unter Bill Clinton mit dem offen erklärten „strategischen Interesse“ gegründet worden, den USA einen privilegierten Zugriff auf zentrale technische Funktionen des Internets zu sichern.
Diesen Einfluss haben die USA erst jüngst wieder genutzt. Es ging um die Adressen-Endung „.xxx“ für Pornoseiten: Die privatrechtlich verfasste Icann hatte die neue Adressenendung bereits genehmigt, aber das US-Handelsministerium gab dem Druck empörter Elternverbände nach und untersagte den Vertrag.
Eben solche innenpolitisch motivierte Einflüsse würden die meisten Kritiker am liebsten verbannen. Ihr Problem: Sollte etwa die UNO die Internetadressen verwalten, dann könnten zahllose Regierungen versuchen, Zensur auszuüben.
Mit dem nun gefundenen Kompromiss wird die EU vorerst wohl leben können. Sie hatte nicht ausdrücklich die Auflösung der Icann gefordert und kann nun das zusätzlich eingerichtete Regierungsforum als Erfolg ihrer eigenen Politik betrachten. Einen real messbaren Einfluss auf die Icann hat sie damit allerdings nicht gewonnen. Die Icann hatte schon immer verschiedene Beratungsgremien für Industrielobbyisten und Regierungsvertreter eingerichtet.
Auch ein anderer Bestandteil des Kompromisses von Tunis ist keineswegs neu: Er sieht nun auch noch Internetforen vor, in denen für eine begrenzte Zeit „Vertreter des öffentlichen und privaten Sektors“ weitere Streitfragen erörtern soll. Ein ähnlicher Versuch ist allerdings schon kläglich gescheitert. Unter dem Namen „At-Large-Membership“ wollte sich Icann mit weltweiten Internetwahlen und einem Parlament regierungsunabhängiger Aktivisten legitimieren. Davon ist lediglich ein Diskussionsforum für interessierte Privatpersonen übrig geblieben. Nun wird es bald eben noch ein zweites davon geben.
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