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Archiv-Artikel

Große Hoffnung Müntefering

DGB-Chef Sommer will kein eindeutiges Urteil über den schwarz-roten Koalitionsvertrag fällen, geißelt aber den Abbau des Kündigungsschutzes und die höhere Mehrwertsteuer

„Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen schultern die Sanierung des Haushalts“

BERLIN taz ■ Der DGB-Chef Michael Sommer misst den Koalitionsvertrag am schwarz-gelben Szenario und kommt so zum Schluss, dass er gar nicht so übel ist. Der Gewerkschaftsbund bleibt gegenüber den altneuen Regierungsparteien also auf gemäßigter Kooperationslinie. „Besser als gedacht, schlechter als erhofft“, war eine der vielen Formulierungen, die Sommer gestern wählte, um das schwarz-rote Gesamtwerk zu bewerten.

Im Einzelnen erklärte Sommer: Sozialbeiträge auf Sonntags- und Nachtzuschläge auf Basis eines Grundstundenlohns von 25 Euro sind „o. k.“. Betroffen hiervon seien angesichts eines Durchschnittslohns von 12 Euro ohnehin nur wenige. Das Elterngeld, mit dem das Kinderkriegen von Gut- und Besserverdienern steuerlich gefördert wird, nannte Sommer „gerecht“. Die Reichensteuer sei „zumindest ein positives Signal“.

Dennoch sei beklagenswert, dass „die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen die größte Last der Haushaltssanierung schultern müssen“ – vor allem durch die höhere Mehrwertsteuer ab 2007. Sommer erinnerte an seinen Vorschlag von 2003, solche Mittel komplett in die Senkung der Sozialbeiträge im unteren Lohnbereich zu stecken.

Damals machte der DGB mit der Idee – Mehrwertsteuer war igitt – eine Bauchlandung. Gestern sagte Sommer: „Ich gehe davon aus, dass das Thema wieder auf den Tisch kommt.“ Eine Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bringe dagegen für die Konjunktur „nichts“. Sie sei eher „kontraproduktiv“, geht sie doch auf Kosten der Arbeitsmarktpolitik.

Die Rente ab 67 sei „nichts weiter als eine verkappte Rentenkürzung“, erklärte der DGB-Chef. „Die heute 35-Jährigen und Jüngeren können sich darauf einstellen, dass sie Armutsrenten bekommen.“ Das Aufschieben des Kündigungsschutzes, der künftig erst nach zwei Jahren wirksam werden soll, sei „völlig falsch“. Zwar eröffnet der Koalitionsvertrag zunächst bloß die „Option“. Doch sei damit zu rechnen, dass diese flächendeckend genutzt werde. Faktisch sei der Kündigungsschutz damit „für viele abgeschafft“.

Beträchtliche Hoffnungen setzt Sommer in die Arbeitsgruppe beim künftigen Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD), die 2006 die Arbeitsmarktreform entwickeln soll. Die im Koalitionsvertrag angekündigte Anhebung der Beitragssätze auf Minijobs zeige, dass die Koalition gewillt sei, die Zerschlagung echter, vollversicherter Jobs zugunsten von Minijobs zu stoppen.

Ähnlich optimistisch ist Sommer gegenüber dem „Ausbildungspakt“. Würden die Gewerkschaften nun zu diesem Bündnis für mehr Ausbildungsplätze eingeladen, „werden wir Geschenke mitbringen“, sagte er: Er wolle auf der im Vertrag zart angedeuteten branchenbezogenen Umlage bestehen, mit der nicht ausbildungswillige Firmen die ausbildenden Firmen entschädigen.ULRIKE WINKELMANN