Versuchte Flughafenbesetzung in Berlin: Zaungäste geblieben
Tausende Demonstranten wollten am Samstag in Berlin den stillgelegten Flughafen Tempelhof besetzen - durchaus mit Mitteln des Humors. Doch ein massives Polizeiaufgebot verhinderte dies.
Die knapp acht Kilometer Zaun rund um den ehemaligen Flughafen Tempelhof sind am Samstag der wohl am stärksten gesicherte Zaun Berlins. Etwa alle hundert Meter steht ein Polizist, alleine, mit Hund oder mit Kollegen, dazwischen eine Reihe von Mitarbeitern privater Sicherheitsdienste. Das Ziel: zu verhindern, dass Sympathisanten und Anhänger der Initiative "Squat Tempelhof" auf das Gelände gelangen. Sie haben vor Monaten die Besetzung für diesen Tag angekündigt - damit die Freifläche endlich für die Allgemeinheit geöffnet wird. Ohne Gewalt soll der Tag ablaufen, aber mit "kreativen Aktionen". Ziel sei das Gelände, nicht die Polizei, so die Devise.
Halb zwei am Platz der Luftbrücke. Ein Info- und Verpflegungspunkt der Organisatoren steht vor dem Eingang des früheren Berliner Zentralflughafens - und damit direkt neben der Polizeizentrale der Stadt. Die Beamten haben einen kurzen Weg an diesem Tag. Die Aktivisten stehen spät auf, erst seit einer halben Stunde versammeln sich merklich mehr Menschen an dem kleinen Tisch. Fast alle sind mit Fahrrädern unterwegs. Die Aktivisten wollen schneller sein als die Polizei. Zum Beispiel, wenn es irgendwo ein Loch im Zaun gibt.
"Die Stadtpläne gehen besonders gut", sagt einer der beiden Standbetreuer. Auf DIN A3 haben die Organisatoren Pläne des Geländes und der Umgebung kopiert und mit den wichtigsten Veranstaltungspunkten versehen. Auch die Wasserkanister erfreuen sich großer Beliebtheit unter den Anwesenden - nur die fast schwarzen Bananen bleiben liegen.
Wer sich hier am Platz der Luftbrücke oder an einem der drei anderen Kundgebungsorte rund um das Flughafengelände versammelt, hat eine klare Botschaft: Der Flughafen, der seit einem halben Jahr keiner mehr ist, soll geöffnet werden. Und zwar nicht für Luxuswohnungen und für Büros der Kreativwirtschaft, wie es derzeit im Gespräch ist, sondern für alle. "Wir wollen entschieden gegen den politischen Umgang mit der Fläche protestieren", erklärte Mitinitiator Volker Rachow vor der Aktion. Bislang gebe es keine Aussicht, das Gelände tatsächlich für die Allgemeinheit zugänglich zu machen. Er sieht diese Haltung exemplarisch für die Stadtentwicklungspolitik des Senats: "Leute, die einen anderen Entwurf von der Stadt haben, leben in ständiger Bedrohung."
Zwischen 6.000 und 7.000 Teilnehmer machen bei den Protesten mit, das werden die Organisatoren später schätzen, die Polizei zählt 2.000 Menschen. Ein Teil sind mehr oder weniger direkte Anwohner aus den angrenzenden Stadtteilen Tempelhof, Kreuzberg und Neukölln. Um ihre Teilnahme haben die Organisatoren im Vorfeld ausdrücklich geworben. Doch die meisten sind einfach junge Menschen mit diesem "anderen Entwurf der Stadt" - und der ist durchaus nicht immer der gleiche.
Eine Reihe von Punks hat sich am Rande der Kundgebung am Platz der Luftbrücke niedergelassen. In der Lautstärke ihrer Musikanlage fordern sie "mehr Bier für alle", vor allem "Freibier". Andere haben politische Forderungen. "Klar brauchen wir Wohnraum, aber auch solchen für Leute, die keine hohe Miete zahlen können", sagt Anne, eine junge Frau. Davon gebe es in Berlin immer weniger. Dass die Senatorin für Stadtentwicklung das Gelände nicht öffne, zeige, wie egal ihr diese Wählergruppe sei.
Anwohner Christoph aus Kreuzberg vom Nachbarschaftsgarten Rosa Rose steht einen Kilometer entfernt von der Kundgebung, direkt am nördlichen Zaun des Flughafens. Hinter ihm ein Transparent mit der Aufschrift: "Stadtplanen von oben, buddeln von unten". "Wir wollen Gemeinschaftsgärten auf dem Gelände, keine Schrebergärten, sondern Gemüsegärten, Gärten mit Bäumen, interkulturelle Gärten", erklärt er. Das knapp 500 Fußballfelder große Gelände zu öffnen, sei eine einmalige Gelegenheit für die Stadt, etwas ganz Neues lasse sich hier anfangen. "Es geht um Natur, die lässt sich nicht genehmigen", pflichtet ihm sein Kollege Hans bei. Die beiden sind in guter Gesellschaft: Mehrere Guerilla-Gardening-Gruppen bewegen sich um das Feld, säen Rasen in Baumscheiben, werfen Samenbomben über den Zaun und pflanzen Setzlinge in den Maschendraht. Den Hunden der Polizeistaffeln passt die Nähe der Aktivisten zum Zaun gar nicht - sie hören kaum auf zu bellen.
Am Nachmittag ist die Patrouillestärke der Aktivisten an vielen Stellen deutlich höher als die von Polizei und Securitymitarbeitern. An der nördlichen und westlichen Seite des Flughafens, dort, wo sonst kaum Fußgänger unterwegs sind, flanieren Gruppen von Menschen am Zaun entlang, fotografieren sich gegenseitig, lassen sich für ein kurzes Picknick nieder, das meist schnell von der Polizei beendet wird, und lehnen sich im Gespräch wie zufällig gegen den Zaun. Der Columbiadamm am nördlichen Ende ist von der Polizei längst gesperrt, zu viele Menschen sind hier zu Fuß und mit dem Fad unterwegs, immer wieder finden Sitzblockaden statt.
Auf einmal kommt Unruhe in die sonst weitgehend friedliche Masse, Menschen rufen lauter als gewöhnlich, die Bewegungen werden hastig. Ein Zivilpolizist hatte seine Waffe auf einen Demonstranten gerichtet, der auf den Zaun zurannte, berichtet ein Aktivist, andere sprechen davon, dass die Waffe auf mehrere Menschen gerichtet wurde. Für die Polizei war der Vorfall die Reaktion auf eine versuchte Gefangenenbefreiung: "Zahlreiche schwarz gekleidete Täter rannten dabei in aggressiver Haltung auf den Beamten zu, der daraufhin zu seinem eigenen Schutz die mitgeführte Schusswaffe demonstrativ auf den Boden richtete", heißt es in einer Mitteilung. "Wir sind schockiert", sagt einer der Organisatoren der Initiative. Mit so einem Verhalten habe man nicht gerechnet, schließlich habe der Senat angekündigt, den Protesten solle "verhältnismäßig" begegnet werden.
Auch an anderen Stellen bleibt es nicht ohne Auseinandersetzungen, Flaschen fliegen, bei Festnahmen gibt es Rangeleien. "Wenn der Senat ein bisschen mehr Humor hätte, hätte er einfach den Zaun geöffnet", kritisiert der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele, umringt von Demonstranten. Die zeigen deutlich mehr Humor: Immer wieder zählen kleine Gruppen einen Countdown, sprinten auf den Zaun zu - um kurz davor abrupt stehen zu bleiben. Einer größeren Gruppe gelingt es, mit einem Wurfanker zwar nicht den Zaun umzureißen, aber den Natodraht auf dem Zaun beiseite zu ziehen. In der Folge verstärkt die Polizei ihre Präsenz an dieser Stelle, fährt etwas später auch zwei Wasserwerfer und einen Räumpanzer auf. Beide kommen nicht zum Einsatz. Und die Demonstranten bleiben vor dem Zaun.
Die Initiative "Squat Tempelhof" zieht eine gemischte Bilanz: "Die Polizei hat ziemlich deutlich gemacht, dass sie das Gelände nicht freigeben wird", sagt Mitinitiator Thomas Neurer. So erkläre sich auch die hohe Zahl von über hundert Festnahmen, obwohl die Besetzung nicht geklappt habe. "Auf der anderen Seite haben wir erreicht, dass in der Stadt eine Stimmung geschaffen wurde, in der über die Verwendung des Geländes geredet wurde." Es sei zu hoffen, dass sie anhalte.
Auch wenn das große Loch im Zaun ein Wunsch geblieben ist: Ein paar Dellen, einige Transparente und eine Reihe von Pflanzen in seinen Maschen zeigen, dass der ehemalige Flughafen sich langsam an eine neue Nutzung gewöhnen muss.
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