Kommentar Schwarz-rote Koalition: Westerwelle freut sich zu früh

Noch ist es viel zu früh, um auf ein Ende der großen Koalition zu setzen. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass es nach der Bundestagswahl mit schwarz-rot weitergeht.

War es das jetzt mit der großen Koalition? Hört der Dauerkrampf der Stagnation endlich auf? Der Bundestag absolvierte am Freitag seine letzte reguläre Sitzung vor der Neuwahl. Das schmeckt nach Abschied, nach Zäsur. Doch könnte es verfrüht sein, auf ein Ende der großen Koalition zu setzen. Vielleicht hält diese Notgemeinschaft weit länger als gedacht - auch gegen alle Wahrscheinlichkeit.

Zugegeben, momentan scheinen alle Umfragen zu belegen, dass Schwarz-Gelb im Herbst mit einer Mehrheit rechnen kann. In der aktuellen Sonntagsfrage kommen Union und FDP auf 50 Prozent. Was sollte einen Guido Westerwelle als FDP-Außenminister also noch verhindern?

Zunächst einmal gehört es zu den leidvollen Erfahrungen der Demoskopen, dass Umfragen zur Wahrsagerei werden: Etwa die Hälfte aller Bürger wissen noch nicht, wen sie wählen wollen - und viele entscheiden erst in der Wahlkabine. Das ist natürlich der Albtraum aller Demoskopen: Ihnen entzieht sich das Untersuchungsobjekt. Sicher ist nur der Blick in die Vergangenheit, und da ist zu konstatieren, dass es seit 1998 bei Bundestagswahlen keine bürgerliche Mehrheit mehr gab. Warum sollte es jetzt anders sein? Wenn es jedoch für Schwarz-Gelb nicht reicht - dann ist die große Koalition garantiert, weil die SPD nicht mit der Linken koalieren will.

Aber selbst wenn Schwarz-Gelb theoretisch regieren könnte, ist nicht unbedingt ausgemacht, dass Westerwelle ins Außenministerium einzieht. Denn Kanzlerin Merkel dürfte eigentlich keinerlei Interesse daran haben, die FPD in Regierungsämter zu hieven. Für die Union ist die große Koalition momentan die ideale Machtoption - und zwar aus drei Gründen.

Erstens: Die Vergangenheit lehrt, dass die Bürger dazu neigen, das Ergebnis der Bundestagswahl alsbald zu korrigieren, indem sie bei den nächsten Landtagswahlen verstärkt für die Oppositionsparteien votieren. Eine schwarz-gelbe Bundesregierung könnte also für einige CDU-Landesfürsten gefährlich werden. Dieser Effekt ist bei einer großen Koalition nicht ganz so ausgeprägt, weil das Bündnis der beiden Volksparteien suggeriert, man wolle alle Bürger repräsentieren. Schwarz-Gelb hingegen würde als die Kampfansage des bürgerlichen Lagers verstanden - und das mitten in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Wenn die Arbeitslosigkeit steigt und die enorme Staatsverschuldung zu finanzieren ist, dann dürften die vielen Verlierer dieser Finanzkrise bald den Charme der nichtbürgerlichen Oppositionsparteien entdecken.

Zweitens: Ein erstes CDU-Opfer könnte Jürgen Rüttgers in Nordrhein-Westfalen sein. Dort stehen Landtagswahlen im Mai 2010 an. Bisher konnte sich Rüttgers als Landesvater inszenieren, der die CDU sozialdemokratisch zu wenden weiß. Doch dieser Kurs ist nicht mehr glaubhaft, wenn im Bund Schwarz-Gelb regiert.

Drittens: Die Union hat die historische Chance, die einst so stolze SPD zu vernichten. Schon jetzt erreichen die Sozialdemokraten in Umfragen nur noch 23 Prozent - sollte die SPD erneut in eine große Koalition eintreten, dann dürfte sie 2013 noch weit darunter liegen. In der Opposition hingegen hätte die SPD zumindest theoretisch die Chance, wieder Schlagkraft zu entwickeln. Sie könnte neues Führungspersonal aufbauen und in aller Ruhe das Verhältnis zur Linkspartei klären.

Es könnte jedoch die Rettung der SPD sein, dass die Basis der Union zu dumpf ist, ihre strategischen Chancen zu erkennen. Stur wird der CDU-Wirtschaftsflügel darauf beharren, dass es eine schwarz-gelbe Lager-Regierung geben muss, sobald es sich rechnerisch ergibt. Das weitere Szenario würde sich dann sehr erfreulich für alle Parteien links der Union entwickeln: Schon jetzt hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit im Bundesrat - allzu großen Schaden könnte eine CDU-FDP-Regierung also gar nicht anrichten, da sie faktisch mit Grünen und SPD zusammenarbeiten müsste. Außerdem, siehe oben, würden wohl bald weitere CDU-Länder kippen.

Doch bevor man sich links der Mitte allzu sehr auf Schwarz-Gelb freut: Kanzlerin Merkel ist bekanntlich taktisch klug. Deswegen ist es durchaus nicht unwahrscheinlich, dass die große Koalition gegen alle Wahrscheinlichkeit hält.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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