Polizei ermittelt noch: Das Rätsel um den brennenden Mann

Ein Iraker erleidet schwere Brandverletzungen. Die Nazis seien es gewesen, sagt er noch. Nun liegt er im Koma. Eine Spurensuche.

MÖHLAU/BERLIN taz | Als Marion Schmieders Telefon am Mittwoch klingelte, war es noch mitten in der Nacht. Eine Stunde später, um halb sechs, wäre sie sowieso aufgestanden, um mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Die Hauptstraße in Möhlau entlang, hoch in Richtung Wald. Dorthin, wo der kleine sachsen-anhaltische Ort schon lange aufgehört hat und nichts mehr steht, außer dem Asylbewerberheim.

„Wir haben ein Brandopfer“, sagte der Nachtwächter bei diesem Anruf um halb fünf morgens, „er ist schwer verletzt“. Mehr weiß die Heimleiterin Marion Schmieder nicht, sie kennt nur diesen einen Satz, den das Opfer, Azad Hayi, unter größten Schmerzen seiner Frau gesagt haben soll. „Die Nazis haben mich fertiggemacht.“

Hayi, 28 Jahre alt, Kriegsflüchtling aus dem Irak, erleidet in dieser Nacht irgendwo außerhalb des Asylbewerberheims schwerste Verletzungen. 50 Prozent seines Körpers sind verbrannt, der Zustand ist auch Tage nach dem Unglück kritisch, er liegt im künstlichen Koma.

Er kam aus eigener Kraft und in fremder Kleidung in der Wohnung an, sagt seine Frau, aber als die Polizei wenige Stunden später in die Wohnung kommt, ist die Kleidung weg. Keiner hat ihn gesehen, keiner hat etwas gehört. Der Beginn einer Spurensuche.

Am Dienstag spielte Azad Hayi mit den Kindern in dem Innenhof der früheren Plattenbausiedlung, in der heute das Asylbewerberheim untergebracht ist. Seit zwei Jahren wohnt er mit seiner Frau und zwei kleinen Töchtern in dem Heim, „eine saubere Familie“, wie Schmieder sagt, „nett, sie passen sich gut an“.

Am Abend half er seinem Freund, dem Syrer Hassan Mussah, eine Waschmaschine in seine Wohnung zu tragen. „Er war gut drauf“, sagt Mussah. Um 22 Uhr verabschiedete sich Hayi von seinem Kumpel, er wollte noch einen Spaziergang machen. „Ab und zu geht er eine rauchen“, sagt Mussah, „alles ganz normal“. Bevor Hayi geht, gibt er den Hausschlüssel seiner Frau. „Eigenartig“, findet Marion Schmieder. Danach verschwand er.

Etwa vier Stunden später, gegen 2 Uhr nachts, hört der Nachbar der Familie Hayi die Schreie der Ehefrau. Die Tür steht offen, die Frau weint. Er sieht die Verletzungen von Hayi, der Wachmann ruft den Krankenwagen. Hayi geht in die Wohnung, duscht und zieht sich einen Bademantel über den verbrannten Körper. Ein Bewohner fährt ihn ins Krankenhaus.

Um kurz nach vier kommt die Polizei, nimmt Spuren. Kurz danach fährt auch die Kriminalpolizei vor. Sie bringt einen Spürhund mit. Er läuft in der Wohnung los, die Treppen hinunter bis ins Erdgeschoss, eine andere Treppe wieder hoch. Keine Spur zum Tatort. Auch im Wald wird gesucht, vor dem Gelände, hinter den Häusern. Nichts.

Die Kinder wollen schwarze Männer gesehen haben, wie schon oft zuvor. „Die hatten Benzinkanister“, sagen sie „wir haben immer Angst“. In dieser Nacht haben sie am Zaun, etwas abseits der Häuser, jemanden gesehen. „Dort ist auch eine Blutlache“, sagen sie. „Wir haben Beweise.“

Es ist Schafsblut, wie die Polizei feststellt, Bewohner hatten dort zuvor ein Schaf geschächtet. Die Kanister waren gefüllt mit Waschmittel.

Zwei Tage später sitzen die Kinder um Hayis Kumpel Hassan Mussah auf den Treppenstufen vor einem der Häuser. Mussah spricht leise, kurze Sätze. „Wir wissen nicht, was man denken kann“, sagt Mussah. Waren es die Nazis? „Er hat es gesagt.“ Hat er selber schon Probleme gehabt mit Rechtsextremen im Ort? Manche würden zwar komisch gucken, aber Nazis habe er noch nie gesehen, gibt er zu.

Im Ort hat Bürgermeister Günter Lönnig an diesem Wochenende eigentlich ganz andere Probleme. Die Feuerwehr feiert achtzigsten Geburtstag, das große Sommerfest des Dorfes steht vor der Tür. „Ich kann mir einen rechtsextremen Anschlag eigentlich nicht vorstellen“, sagt Lönnig, „wir haben hier ein gutes Miteinander“. Viele Kinder aus dem Heim gehen zusammen mit den anderen Kindern aus dem Dorf gemeinsam zur Schule, einige Bewohner helfen gelegentlich auf dem Bauernhof aus.

Petrus meint es dieses Jahr nicht gut mit Bürgermeister Lönnig und seinen Dorfbewohnern. Es regnet dieses Jahr ohne Pause beim Feuerwehrgeburtstag am kleinen Dorfplatz. „Er ist ein Mordskerl“, sagt Marion Schmieder über ihren Bürgermeister. „Wo er helfen kann, hilft er.“ Nach den Ereignissen habe er auch seine Hilfe angeboten.

„Es gibt hier im Ort eigentlich keine rechte Szene“, sagt sie. Einen Jungen hätten sie vor ein paar Jahren für einen Rechten gehalten. „Der kam aus schwierigen Verhältnissen.“ Aber ein Nazi? Schmieder schüttelt den Kopf. Und kommen aus Dessau oder Bitterfeld Gruppen? „Ausschließen kann man natürlich nichts“, sagt sie, „aber ich habe noch nie jemanden gesehen.“

Dann sagt sie, dass die Probleme eigentlich woanders liegen. „Die Leute sind einfach zu lange hier.“ 17 Jahre arbeitet sie in dem Asylbewerberheim, manche Bewohner sind von Anfang an da, viele seit mehr als 10 Jahren. Einige waren noch Kinder, als sie hierher gekommen sind, und haben jetzt selber welche. Schmieder schaut durch ihre runden, kinderhaften Augen, als bitte sie um Mitleid für ihre Bewohner. „Die wollen endlich weg hier.“

Bei vielen schwindet die Hoffnung auf eine reguläre Aufenthaltsgenehmigung mit jedem weiteren Jahr in Möhlau. Die zuständige Ausländerbehörde in Wittenberg gilt als streng, die Fälle des einzigen Asylbewerberheims in der Region werden härter begutachtet als in anderen Regionen. Seit diesem Jahr sind zudem die Urlaubsregelungen verschärft worden. Sachsen-Anhalt zu verlassen, ist für die Bewohner damit nahezu unmöglich. Manche dürfen noch nicht einmal aus dem Kreis Bitterfeld heraus. „Es ist ein Gefängnis“, sagt einer der Bewohner. „Wir sind isoliert statt integriert.“

Verwahrlostes Heim

Für das Haus sorgen die „KVW Beherbergungsbetriebe“. Dahinter steht Marcel Wiesemann, ein junger westdeutscher Betriebswirt, der hauptberuflich Asylantenheime betreibt. Das Grundstück gehört Wiesemanns Vater, er hatte es 1992 erworben.

Bis 2006 wurde das Heim in Möhlau noch von der Firma „European Homecare“ betrieben, einer Organisation mit über hundert Mitarbeitern, die zahlreiche Häuser in Deutschland und Österreich betreut. 2006 hat Marcel Wiesemann die Arbeit mit der Firma beendet und eigenhändig den Betrieb übernommen. Nur ein- bis zweimal im Monat stattet er dem Haus einen Besuch ab.

Ein Blick in die Ecken verrät, dass seit Jahren nichts mehr gegen den Verfall des Hauses getan wird. Dreck sammelt sich an den Rändern, Schimmel an den Decken. Einige der Häuser auf dem Gelände sind unbewohnbar, kaputte Elektrogeräte rosten vor den Türen, Spinnweben ziehen sich zu den Türgriffen.

„Wenn man wenigstens die Flure neu streichen könnte“, druckst Marion Schmieder. Sie will nicht deutlicher werden, sie darf es nicht. Eine Ahnung, warum dies so ist, gewinnt man nach einem Gespräch mit ihrem Chef. Keiner außer ihm dürfe Auskunft über das Heim geben, sagt Wiesemann. „Wer Fragen hat, muss sich an mich wenden.“ Dass die Unzufriedenheit im Haus groß ist, hat er noch nicht bemerkt. „Die klagen, klagen, klagen“, sagt Wiesemann. Trotzdem will er sich jetzt verstärkt um das Haus kümmern und sogar die Fassade streichen lassen.

Irgendwo zwischen dem heruntergekommenen Heim, der strengen Ausländerbehörde, dem persönlichen Schicksal eines jungen Vaters und dem noch nicht ausgeräumten Verdacht einer rechtsextremen Tat liegt die Wahrheit. Auch Selbstverstümmelung kann nicht ausgeschlossen werden. Vielleicht führt der Weg auch nach Roßlau, wo es in der Tatnacht eine Explosion in einem Imbiss gegeben hat. Es war zur selben Zeit, gegen ein Uhr nachts. Vielleicht war Hayi dort und ist im Schock die 25 Kilometer nach Möhlau zurückgefahren. Die Polizei ermittelt in alle Richtungen, sagt ihr Sprecher Ralf Moritz. Die fehlenden Spuren vor Ort, den Misserfolg der Spürhunde würde diese Version erklären.

Warum die Tat geschah, erklärt es nicht. Die Tragödie von Azad Hayi kann er vielleicht nur selber aufklären, wenn er aus dem Koma erwacht ist und man ihm wieder zuhören kann.

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