Kolumne Parallelgesellschaft: Melancholie, Fehlanzeige

Die Linkspartei als beste Sozialdemokratie der Jetztzeit: Bodo Ramelow zeigt, wie Machtappetit delikat munden kann.

Hatte man das nicht irgendwie im Gefühl - dass das Schwarz-Gelbe nicht einfach so vom Bundestagswähler quasi en passent durchgewunken würde? Drei Wahlen haben eben diesen Eindruck bestätigt: Die Republik misstraut neoliberaler Schneidigkeit.

Und das liegt auch an den Bildern, die das Publikum von der Linkspartei gewinnen kann. Für die urgrünen Wählerinnen und Wähler im Westen muss man erläutern: Nein, mit der PDS wurde keine Renaissance von Gulag & Stacheldraht lanciert; nein, es sind im Grunde bisweilen quälend gewendete Sozialdemokraten; ja, diese Leute haben auf Staatssozialistisches keine Lust, weil sie den kennen und an ihm fast erstickt wären.

Am allerbesten ist doch, wie Bodo Ramelow verblüfft die Allüren der SPD von sich weist, anstatt mit seiner selbst den eigenen Kandidaten zum thüringischen Chef machen zu wollen. Zu sehen war ein Wechsel der Performance: Einer wie Ramelow steht offenbar für eine neue Politikergeneration der Linken im Osten, die alles postrealsozialistisch Schüchterne abgestreift zu haben scheint.

Für Menschen, die die Linkspartei hauptsächlich aus dem Westen und also über bis heute untröstliche Kader des Realsozialismus kennen, muss man weiter sagen: Die Linkspartei ist ähnlich sauber wie die Fastfoodkette McDonalds: Die Partei kann es sich nicht einmal leisten, irgendein Mitglied hinauszuwerfen, selbst aus guten Gründen (Verherrlichung der Mauer etwa), weil es dann hieße, na, sieh mal an, die lösen ihre Probleme wieder nur administrativ.

Sie sind immer unter Beobachtung, die Linken. Da darf man sich in jedem Fall sicher sein, dass da nix Krude-Böses wieder draus erwachsen wird. McDonalds hingegen kann sich keinen Fleischskandal (BSE etwa) leisten - diese Kette hat unter Grünbürgern einen so verheerenden Grundruf, dass sie nicht anders kann, als sich selbst in puncto Lebensmittelkontrolle überzuerfüllen.

Anders gesagt: Es ist schön - soweit man das nach Besuch von Wahlpartys der Linken in Thüringen sagen kann und wie man das so aus dem Saarland hört -, dass diese Partei nicht mehr so herumläuft, als sei sie der Union oder sonstwem irgendetwas schuldig.

Ramelow ist, zumindest in dieser Hinsicht, die Antithese eines linken Populisten zu jener Figur, die der Gesellschaftstheoretiker Walter Benjamin als eine linke Persönlichkeit erkannte - melancholisch, die Macht beklagend, aber selbst keine wollend, hadernd, mit sich selbst beschäftigt, politisch mit einem Tunnelblick versehen.

Die Linke, der überhungrige Part der deutschen Sozialdemokratie, muss ja nicht in Sack und Asche herumlaufen. Schon deshalb nicht, weil sie selbst nur anderthalb Jahrzehnte brauchte, um in der eigenen Fantasie den Wahn realsozialistischer Totalität abzustreifen - man darf das westlich genießen.

Die Union (und auch die FDP) haben viel länger gebraucht, um sich von den Exnazis zu lösen; mancherorts geistert immer noch völkisches Gedankengut umher, wenn auch seitens der Kanzlerin gut im Griff gehalten: Wer bei denen irgendetwas brauner Provenienz gut heißt, hat seine oder ihre Zukunft hinter sich.

Die Linkspartei ist, politikbetriebswirtschaftlich gesprochen, gut aufgestellt. Dass ihre realpolitische Entzauberung irgendwann bevorsteht, ist gewiss. Dann werden sie die letzten Morgenrotphantasmen abstreifen müssen. Heilshoffnungen sind was für Religiöse. Ramelow ist der Populist, den die SPD gerade nicht gebrauchen kann.

Na und?

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Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!

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