die wahrheit: Ich bin wir, ihr seid ich

Meinungsumfrage: Jeder Zweite möchte lieber jeder Dritte sein.

Die Suche nach der eigenen Identität ist für jeden Zweiten fast so schwierig wie für jeden Dritten. Bild: reuters

Die Sitzung im Bundeskanzleramt dauerte bis zum frühen Morgen. Zu brisant war das Ergebnis einer Studie des renommierten Allensbacher Instituts für Demoskopie, als dass Angela Merkel es für sich hätte behalten können. Auf Anraten der Meinungsforscher hatte die Kanzlerin noch am Sonntagabend ranghohe Regierungsmitglieder versammelt, um über den "Allensbach Volksmonitor 2009" zu beraten, bevor die Studie an die Öffentlichkeit gelangt.

Institutsgründerin Prof. Dr. Dr. h.c. Elisabeth Noelle-Neumann höchstpersönlich hatte dem Kabinett die Details bei einer Powerpointpräsentation dargelegt. Die zentrale Aussage des "Monitors", so Noelle-Neumann, sei auf ein völlig neues Verfahren zurückzuführen - die sogenannte selbstreferenzielle Meta-Umfrage. Das Ergebnis: "Jeder zweite Deutsche wäre gerne jeder dritte Deutsche."

"Die Menschen in diesem Lande sind in ihren Erwartungen und in ihren Haltungen tief irritiert", erklärte Noelle-Neumann. Jeder zweite Deutsche zu sein, dies hätten bereits frühere Untersuchungen angedeutet, empfänden die Betroffenen selten als einen Vorzug, sondern eher als eine Bürde. Noelle-Neumann verwies auf ein entsprechendes Kuchendiagramm: "Jeder zweite Deutsche hat kaum Vermögen, ist von Altersarmut bedroht, leidet unter gelegentlichen depressiven Verstimmungen, ärgert sich über zu lange Wartezeiten beim Arzt, ist zu fett und hat in den vergangenen zwölf Monaten keine Urlaubsreise unternommen." Diese Aussagen würden auch durch positivere Erkenntnisse ("Jeder zweite Deutsche glaubt an Liebe auf den ersten Blick, kocht selbst und kauft Autoteile sowie -zubehör online") nicht aufgewogen.

Da sei es nicht verwunderlich, wenn jeder zweite Deutsche ein Dasein als jeder dritte Deutsche bevorzuge, schließlich müssten diese sich nur mit Lappalien herumplagen: "Jeder dritte Deutsche zweifelt an der Demokratie, will die D-Mark zurück und den Stromanbieter wechseln, telefoniert täglich mit Mama, liest die Apotheken-Umschau, spricht mit seinen Pflanzen und fühlt sich nicht sauber nach dem Toilettengang." Außerdem, merkte Noelle-Neumann hüstelnd an, misstraue jeder Dritte der Führungskompetenz der Regierung. Diesen Aspekt könne man allerdings vernachlässigen, da dieselbe Bevölkerungsgruppe auch mit ihrer Wohnungseinrichtung unzufrieden sei - ein ganz klares Zeichen für eine Neigung zur Hysterie.

Unmittelbar nach der Präsentation herrschte betroffenes Schweigen, bis Angela Merkel dazu aufrief, das Licht wieder anzuschalten. Im Hellen fügte sie hinzu, dass es "gerade in Zeiten wie diesen wichtig ist, sich immer wieder seiner eigenen Wurzeln, Werte und grundlegenden Überzeugungen zu vergewissern". Dies habe der "Volksmonitor 2009" eindrucksvoll bestätigt. Ihrer Partei sei es noch nie darum gegangen, "gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen". Doch die CDU müsse nun ihre ganze Kraft investieren, um das Selbstwertgefühl aller zweiten Deutschen wiederherzustellen. "Auch um meinen Erfolg bei der Bundestagswahl nicht zu gefährden", so Merkel. Schließlich glaube ausgerechnet jeder Zweite, dass er künftig von einer schwarz-gelben Mehrheit regiert werde.

SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier wandte ein, rein quantitativ dürfe man jeden dritten Deutschen nicht unterschätzen. "Für meine Partei wäre das verdammt viel." Innenminister Wolfgang Schäuble zweifelte daraufhin die Seriosität der gesamten Studie an. Zu ihrer Verteidigung gab die Forscherin an, Schäuble könne froh sein, dass jeder zweite Deutsche nicht gerne jeder vierte Deutsche wäre. Dieser sei von seinen Eltern geprügelt worden, schliefe bei der Arbeit heimlich ein, sehe Russland als Feind, gewinne der NS-Zeit gute Seiten ab und könne nicht schwimmen. Schäuble erwiderte: "Na und?"

Nach intensiver Debatte einigten sich die Koalitionsmitglieder bei aufkommender Morgendämmerung auf einen Vorschlag von Angela Merkel, die in Regierungskreisen bewährte Kanzlei Linklaters mit einem Gesetzentwurf zur "Neuausrichtung deutscher Identität" zu beauftragen - Arbeitstitel: "Als Zweiter lebt man besser". Das Gesetz, das noch in der laufenden Legislaturperiode in Kraft treten werde, solle die Vorzüge zweiter Deutscher fordern und fördern und ökonomische Aspekte mit in den Vordergrund stellen. Selbst der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering schlug daraufhin einen versöhnlichen Ton an und lobte die Initiative der Kanzlerin: "Dann werden endlich mehr Leute so wie ich."

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