Thüringer Koalitionsverhandlungen: Komfortables Dilemma der SPD

Im Herzen links, im Kopf eher Schwarz-Rot. Was die SPD-Basis in Thüringen nach der Wahl will, weiß sie selbst nicht genau. Möglichkeiten gibt es ja genug.

Alle wollen von Christoph Matschie wissen, wo es mit der SPD hin geht. Bild: ap

ERFURT taz | Als sich der SPD-Ortsverein Jena-Süd zum Stammtisch an offenen Kneipentischen trifft, winkt man den Genossen aus dem Fenster im Haus gegenüber fröhlich zu. Auch dort arbeiten Genossen - allerdings von einer anderen Partei.

Das Haus beherbergt die Kreisgeschäftsstelle der Linkspartei in Jena. Zwar fallen ironische Bemerkungen wie "In 50 Jahren sind die wieder bei uns", aber zurückgewinkt wird doch. Alles klar für Rot-Rot in Thüringen?

Doch deutliche Präferenzen gibt es auch in diesem auffallend jungen Ortsverein nicht. Fast ein Juso-Klub, meist Studenten oder Jungakademiker. Und natürlich Fans von Christoph Matschie, dem SPD-Landesvorsitzenden aus Jena, der dort ein Direktmandat gewann.

Das komfortable Dilemma, in dem sich die Thüringer SPD seit der Landtagswahl vom 30. August befindet, führt auch in den Diskussionen an diesem Tisch zu einem gedanklichen Patt.

Wird doch die 18,5-Prozent-Partei sowohl von der CDU wie von der Linken heftig für eine Regierungsbildung umworben. Das macht spürbar stolz, verringert aber nicht den Entscheidungsdruck. "Im Herzen fühlt man eher links, aber machtpolitisch wäre wahrscheinlich die große Koalition besser", bekennt ein Student.

Fest steht: Die SPD wird dem Mitgliederentscheid von 2008 folgen und keinen linken Ministerpräsidenten wie Bodo Ramelow wählen. Und "allein Lieberknecht statt Althaus genügt nicht bei der CDU", heißt es. Gegen beide potenziellen Partner gibt es Vorbehalte, beide gelten hier als unberechenbar.

Die Linke wegen ihrer ungenügenden Vergangenheitsbewältigung und wegen des Rufs unseriöser Haushaltpolitik. Die CDU erscheint über die Honecker-Symptome eines Dieter Althaus hinaus zerrissen zwischen regionalen Klüngeln, Katholiken und Protestanten.

Der Ausweg ist die Trumpfkarte, die Matschie gerade in den Sondierungsgesprächen ausspielt. "Linke und CDU müssen sich kräftig bewegen!", fordert jemand, und ein Dutzend Köpfe nicken. Das ist die komfortable Seite der SPD-Situation in Thüringen. Den Zuschlag bekommt, wer der SPD am meisten entgegenkommt.

Dann erst solle es um Personalfragen wie das Ministerpräsidentenamt gehen. Die Stichworte fallen schnell. Längeres gemeinsames Lernen, besseres Kitaangebot, Verwaltungsreform, ökologisches Wirtschaften, wirksamer Kampf gegen rechts.

Die Thüringer Jusos haben ein 8-Punkte-Papier erarbeitet, auf dessen Erfüllung Matschie bei den Gesprächen achten soll. Davon hänge die Glaubwürdigkeit der Partei ab, meint die Jenaer Runde und schlürft nachdenklich am Bier. "Über Inhalte definieren, nicht über Koalitionen!", meint Juso-Landeschef Peter Metz aus Erfurt.

2005 hatte er noch Rot-Rot-Grün auf Bundesebene gefordert. Für den Geschichte und Philosophie studierenden Juso-Chef ist das, was im Moment in Thüringen passiert, ein "beispielgebender Beitrag zur Demokratiekultur".

Aber mit welchem Trend? Forsa will in einer Umfrage etwas vage unter SPD-Anhängern eine Mehrheit für Schwarz-Rot erkennen. Der Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider beobachtete unter seinen Genossen eher die Neigung zu Rot-Rot-Grün. Sein Erfurter Kreisverband verkündete kürzlich, dass "eine Mehrheit der SPD Erfurt einen vollständigen Politikwechsel unter Einbeziehung der Bündnisgrünen wünscht". Und Christoph Matschie erklärte am Mittwoch, "eine stabile Regierung aus drei Parteien bilden zu können".

Eine erneute Mitgliederbefragung wollen nur wenige. "Bis die organisiert ist, machen sie uns die Medien kaputt", meint der Jenaer Ortsverein. Und geht nach langer Erörterung der Thüringenfrage noch zur Organisation des Bundestagswahlkampfs über.

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