Daniel Cohn-Bendit über Koalitionen: "Rot-Rot-Grün bringt gar nichts"

Daniel Cohn-Bendit ist Chef der Grünen-Fraktion im EU-Parlament und sagt: Schwarz-Gelb wäre nicht das schlimmste Ergebnis bei der Bundestagswahl. Was denn dann?

"Wir müssen im Denken viel radikaler werden." Bild: dpa

taz: Herr Cohn-Bendit, was halten Sie von der Theorie, dass die Wahl einer schwarz-gelben Regierung neue Dynamik in die Gesellschaft brächte und auch in die SPD und die Grünen?

Daniel Cohn-Bendit: Es geht so oder so los. Im Grunde erleben wir gerade das Ende einer Epoche. Das herrschende System ist ökologisch, ökonomisch und durch die Finanzkrise an die Wand gefahren. Es steht nicht mehr einfach die Reform des Systems zur Debatte, sondern die Transformation. Damit fängt politisch das 21. Jahrhundert an. Schwarz-Gelb wäre außerdem die letzte traditionelle Zweierkonstellation. Sollte Schwarz-Gelb nicht klappen, dann heißt es: Achtung, Kinder. Dann geht alles im Zeitraffer.

Selbst bei einer Fortsetzung der großen Koalition?

Selbst dann.

Warum?

Weil nach dieser Bundestagswahl - egal wie sie ausgeht - der ökologische Widerspruch zu einem zentralen, politischen Auseinandersetzungsmoment wird.

Die ökologische Krise kam beim Fernsehduell letzten Sonntag weder bei Merkel noch bei Steinmeier vor.

Unglaublich. Dabei wäre das der Trumpf von Steinmeier gegen Schwarz-Gelb. Er hätte klar machen müssen, dass die neue Herausforderung darin besteht, die ökonomische und ökologische Krise integriert zu lösen. Aber nicht nur die Kanzlerin und der Außenminister, auch die sogenannte Elite des deutschen Journalismus ignoriert das.

Was passiert, wenn es CDU/CSU-FDP wird?

Die FDP hat wenigstens ein Projekt, die radikale Neoliberalisierung. Aber in einer schwarz-gelben Koalition wird die CDU sie ausbremsen. Also wird die FDP in dem Moment, in dem sie an der Macht ist, diejenigen sofort verlieren, die sie jetzt gekriegt hat. Weil sie CDU-Politik machen wird, also eine christlich-sozialdemokratische Politik des kalkulierten Stillstands.

Und dann?

Dann geht die gesellschaftliche Debatte los: Gibt es eine Alternative zum bürgerlich-liberalen Gesellschaftsmodell? Gibt es ein ökologisch-soziales Modell, das gesellschaftlich aufgegriffen wird und zum Ergebnis eine rot-rot-grüne Mehrheit hätte? Und dann wird die ökologische Transformation akut, also der Green New Deal, den die Grünen in Ansätzen, leider nur in Ansätzen, in diesem Wahlkampf vertreten.

Dann würde alles gut?

Nein. Bedingung ist eine radikale Veränderung dieser Parteien. Rot-Rot-Grün allein bedeutet für mich nichts. Die Linke und die SPD tragen bei zur Stagnation. So wie sie jetzt dastehen, werden sie die ökologisch-soziale Transformation nicht vollziehen können.

Sicher kommen Sie jetzt gleich auf die entscheidende Rolle der Grünen zu sprechen?

Die Grünen müssen die Ersten sein, die diesen Prozess der notwendigen Veränderung nicht nur formulieren und verkörpern, sondern praktisch für sich umsetzen. Sie müssen zeigen, dass sie selbst transformationsfähig sind. Das haben sie mit dem Green New Deal auch geschnallt. Sagen wir, fast.

Sehen Sie die Grünen in der neuen Epoche als linke Partei?

Wenn man die komplizierten Debatten im EU-Parlament sieht, dann ist links-rechts kein Kompass mehr. Oder unser alter Held Ortega in Nicaragua: Da ist links eine Familienmafia. Die Debatte, ob wir links sind oder nicht, ist eine Falle. Der Wertekanon der traditionellen Linken ist genauso verantwortlich für die gesellschaftliche intellektuelle Stagnation wie der konservative.

Schwarz-Gelb könnte statt neuer Dynamik auch Rückfall in alte Politiksimulation der drei Oppositionsparteien bringen.

Das wäre das Schlimmste. Die Retraditionalisierung der Alternative. Jeder spielt wieder seine Rolle. Die Sozialdemokraten werden Sozialdemokraten von anno dazumal, die Linken werden die Beton-Linken und die Grünen die linken Grünen von 1980. Lernprozess: null. Die Radikalversion der Sozialdemokratie kann ein Kampfprojekt sein, ein Gewerkschaftsprojekt. Du verteidigst in Konflikten Arbeitnehmerinteressen. Das hat seine Funktion. Aber es ist kein Transformationsprojekt. Die Antwort auf die Krisen kann nicht nur sein: Mindestlohn und Hartz IV aufstocken, und dann noch zurück zur Rente mit 60. Es geht um mehr. Dieses Bedürfnis müssen die Grünen aus der Gesellschaft herauskitzeln.

Selbst aus den deutschen Grünen war das Bedürfnis nach dem Green New Deal nicht einfach rauszukitzeln.

Stimmt. Als die Europäischen Grünen vor knapp zwei Jahren gesagt haben, wir müssen eine globale Antwort auf die Krise geben, sagten die in der grünen Bundestagsfraktion: Green New Deal - was ist denn das? Das versteht doch keiner. Die haben das immer nur runtergeredet. Aber irgendwann hat sich das durchgesetzt, dass man weiter ausholen muss. Darum geht es: Man muss weiter ausholen.

Der Parteienforscher Franz Walter würde sagen: Die behaglichen Grünen kriegen dafür den Arsch nicht mehr hoch.

Die Grünen haben mit dem Green New Deal einen Schritt gemacht. Aber es stimmt: Wenn die Grünen sich damit begnügen zu sagen, wir sind die Partei, die Reformen machen kann, dann geht es nicht. Wir müssen im Denken viel radikaler werden.

Wer denkt denn etwa die Opelkrise radikal neu?

Wir haben keine Opelkrise, wir haben eine weltweite Krise der Automobilindustrie. Man denkt in Deutschland, wenn man den richtigen Investor findet, staatliches Geld nimmt, dann wird Opel gerettet - und Renault und Peugeot gehen den Bach runter. Und in Frankreich denkt man es andersherum. Egal, wer runtergehen wird: Es werden weniger und ganz andere Autos sein. Motor einer nachhaltigen Gesellschaft kann nicht mehr die Autoindustrie sein. Das heißt: Diese Arbeit wird zurückgeschraubt.

Haben Sie neue Arbeit?

Warum sagen wir nicht: Okay, wir Europäer sind bereit, in Autos der Zukunft zu investieren, damit sie schneller kommen und wir die Nase vorn haben. Und gleichzeitig investieren wir darin, die Autoarbeiter zu Mobilitätsarbeitern zu machen.

Was heißt das konkret?

Ein großes europäisches Straßenbahnprojekt. Es gibt einen wahnsinnigen Bedarf. Im Osten Europas, in deutschen und französischen Städten, sogar in vielen Städten auf dem ganzen Globus. Das ist ein ökologisches Sanierungsprojekt, es schafft Millionen Arbeitsplätze, es hat mit Mobilität zu tun. Ich wundere mich nur, dass die Unternehmen … was schauen Sie mich denn so an?

Wie denn?

So hat mich Sarkozy auch angeschaut, als ich ihm das gesagt habe. Alle suchen den Fehler, weil sie denken, das kann doch nicht so simpel sein.

Ist es aber?

Manchmal ist es noch simpler. Ungarn, Tschechien, Polen, die baltischen Staaten, die neuen Bundesländer können diese Modernisierung nicht zahlen. Und deshalb gehst du zu Opel und sagst: Lass uns überlegen, wie viele Autos Opel noch produzieren wird und ob es nicht besser ist, Bochum zu einem Mobilitätswerk umzubauen. So muss man denken. Man wird doch sonst rammdösig. Selbstverständlich wird dann ein solches Projekt durch EU-Gelder finanziert und erschafft sicherlich mehr Arbeitsplätze als ein europäisches Airbus-Projekt.

Und die Arbeiter?

Die kriegen nicht Hartz IV und auch kein Mindesteinkommen. Die kriegen einen Transformationslohn. Das ist ein Einkommen in der Umschulung in einen Beruf, der zu tun hat mit dem, was sie gemacht haben, aber doch ganz anders ist.

Herr Cohn-Bendit, Ihr Erfolg bei der Europawahl beruht darauf, dass Sie ein Ökoprojekt entwickelt haben, das über die grüne Partei hinausgeht. Was heißt das für Deutschland?

Im Gegensatz zu Deutschland befanden sich die französischen Grünen auf einem toten Gleis. Deshalb haben wir die Sammlungsbewegung der politischen Ökologie gemacht, also all derjenigen, die sich bewusst sind, dass es so nicht weitergeht, wenn wir in den nächsten zehn Jahren die Klimafrage nicht in den Griff bekommen. Aber in Deutschland sind die Grünen stark. Bedenken Sie: Bei der letzten Bundestagswahl hatten die grade 8 Prozent. Und das mit Fischer!

Braucht es nicht ein großes, bürgerliches, grünes Projekt?

Du wirst die Transformation nur schaffen, wenn Gewerkschafter, zum Beispiel, auch dazustoßen. Wir wollen Arbeitsplätze verteidigen, aber es müssen ja nicht dieselben sein. Das einzufädeln, genau darum geht es. In allen gesellschaftlichen Schichten gibt es Avantgarden oder Menschen, die verstehen, dass Stehenbleiben Regression bedeutet. Deshalb ist ein bürgerliches Projekt zu kurz gegriffen.

Die Grünen sind bürgerlich.

Na und? Lenin war auch bürgerlich. Marx war bürgerlich, Lafontaine und Gysi sind bürgerlich. Die taz ist affektbürgerlich. Ich, zum Beispiel, bin großbürgerlich, dem Bewusstsein nach wenigstens, andere sind kleinbürgerlich. Darum geht es überhaupt nicht.

Sondern?

Das linke Projekt ist ein Klassenkampf, also ein Spalten der Gesellschaft. Wenn du nur die Symbole der alten Linken mobilisierst, dann ist diese ökologische Transformation nicht davon erfasst. Zwar sind sozial Schwache stärker von der ökologischen Krise betroffen, aber grundsätzlich erfasst sie alle. Deshalb wird die Transformation nur möglich, wenn sie die gesamte Gesellschaft erfasst und vereint.

Wie fixt man die Menschen mit der Idee der Transformation an?

Auf jeden Fall ist der Voluntarismus in der Politik wieder stärker gefragt. Du musst als Politiker etwas wollen. Nicht nur die Politik muss neu definiert werden, auch die Lust an der Politik muss neu und glaubwürdig gezeigt werden. Und das ist momentan noch das Problem der Grünen. Du musst das radikale Denken mit dem Wissen um die Schwierigkeit der kleinen Schritte im Alltag zusammenbringen. Der größte Fehler von Helmut Schmidt war der Satz: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.

Deutschland huldigt dem SPD-Exkanzler, und gerade dieser Satz ist sein Vermächtnis.

Das ist das Problem. Wenn eine Gesellschaft diesen Unsinn glorifiziert, dann wird diese Gesellschaft untergehen. Auf der Richter-Skala der gesellschaftlichen Modernisierung ist die Schmidt-Beliebtheit ein negatives Zeichen. Das Verlogene an der Sache ist, dass der Schmidt ja in Wahrheit Visionen hat.

Welche denn?

Visionen einer autoritären Gesellschaft von gestern.

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