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die wahrheitFleischwurstpraktikanten-qualitätsjournalismus

Da steigt man nichtsahnend, noch etwas rammdösig vom langen Warten, am 8. Oktober gegen 14 Uhr in die Frankfurter S-Bahn. Man sieht einen jungen Mann, der in einen ausgedruckten Wikipedia-Artikel über Herta Müller vertieft ist...

...Stimmt, heute war doch was, denkt man und spricht den jungen Menschen an: "Ob er wisse, wer den Nobelpreis …?" Er hält den Artikel hoch und sagt: "Ja, die hier."

Man kann ein überraschtes "Ochnee" nicht unterdrücken, und so kommt man ins Gespräch. Der junge Mann jedenfalls ist erfreut darüber, jemanden zu treffen, "der Herta Müller nicht für eine Fleischwurst hält". Er sei jetzt gerade als Journalist los, um die Frankfurter Bevölkerung auszuhorchen, ob sie Herta Müller kenne, und wenn ja, was sie von der Nobelpreisehre hielte. Ob ich Zeit hätte für einige Fragen? Sicher, sage ich. Und es kommt zu einem Vier-Stationen-Gespräch.

Nein, Herta Müller habe ich nie gelesen, stelle ich klar, wüsste sie aber einzuordnen. Ich würde, sage ich von Eitelkeit getrieben, viele rumäniendeutsche Dichter von Oskar Pastior bis zu der literarischen Avantgarde der Siebzigerjahre, der "Aktionsgruppe Banat", auch persönlich kennen beziehungsweise gekannt haben. Ich wüsste auch, dass Müllers neuer Roman "Atemschaukel" durchaus kontrovers diskutiert würde und dass manche den Text für "Lagerkitsch" hielten. Auch, dass ich mir durchaus Sorgen um die psychische Disposition von Herta Müller mache, die glaubt, wenn sie nach Bukarest fährt, sei die Securitate immer noch auf ihren Fersen. Ihre Paranoia sei aber nachvollziehbar.

Wir sprechen über die Politik des Komitees in den letzten Jahren. Mir scheint, formuliere ich als besonders gut Informierter, weniger die literarische Qualität sei für die Preisverleihungen ausschlaggebend gewesen, sondern die linke politische Ausrichtung der Prämierten. Mit Dario Fo hätte es begonnen, und es setzte sich fort über Saramago, Pinter, Jelinek. Bei Herta Müller sei es wohl das 20-jährige Jubiläum des Ostblockkollapses.

"Wen ich mir denn gewünscht hätte?", fragt mich der junge, sympathische und angehende Qualitätsjournalist. Und nicht sonderlich originell antworte ich, Philip Roth oder Bob Dylan. Dann buchstabiere ich meinen Namen zweimal, und wir trennen uns.

Der junge, sympathische und angehende Qualitätsjournalist schreibt für ein Blatt, hinter dem angeblich kluge Köpfe stecken. Zu lesen ist dann am 9. Oktober in der "Rhein-Main-Zeitung" der FAZ: "Jürgen Lentees kann das nachvollziehen. Ein Internetausdruck mit dem Foto der Preisträgerin hat genügt, um den erfreuten Buchhändler in der S-Bahn aufjubeln zu lassen. ,Eine gute Autorin.'"

Dass der junge und angehende Qualitätsjournalist nicht in der Lage ist, die Buchstabierung meines Namens adäquat umzusetzen, geschenkt. Aber ich möchte doch klarstellen, ich habe nicht gejubelt. So wird das nichts mit Qualitätsjournalismus. Aber er sollte bitte stets daran denken: Frankfurt ist klein. Man sieht sich hier immer zweimal. Ich hätte da ein paar Fragen.

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2 Kommentare

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  • MS
    Marcus S.

    Danke für diesen Artikel. Die Selbstironie des Autors ist unterhaltsam und für die TAZ bei diesem Thema sehr angemessen. Warum also nicht uns Leser damit unterhalten? Seitenhiebe auf die Konkurrenz (auch von mir geschätzte) belebt und kann Augen öffnen!

    Weiter so!

  • ML
    Marion L.

    OK, das war in der FAZ wirklich nicht besonders toll. Aber dieser Artikel bringt uns auch nicht weiter, weil er nur eine persönliche Abrechnung ist mit einem anderen Journalisten, der Namen falsch schreibt. Können Sie das nicht bilateral austragen und ein für uns Leser interessantes Thema finden für die TAZ?

     

    Danke!