Gedenken: Kein Heldentod

Vor 20 Jahren starb die Aktivistin Conny Wessmann in Göttingen auf der Flucht vor der Polizei. Ihr Tod hatte weitreichende Auswirkungen auf die linke Szene - ausgerechnet in Göttingen aber kam es zu einer Allianz mit bürgerlichen Kräften, die bis heute hält.

"Conny"-Gedenkdemo am 10. Todestag 1999 in Göttingen. Bild: dpa

Man bekommt keine Fotos von Kornelia Wessman. Nicht nur ihre Familie hält sie zurück, auch ihre ehemaligen Genossen. Die Studentin, die vor 20 Jahren in Folge eines Polizeieinsatz in Göttingen starb, soll nicht zur Ikone werden. Der Umgang mit ihren Tod soll "politisch" sein, keine Inszenierung persönlicher Trauer.

Und trotzdem ziert Wessmanns Name immer wieder die großen Front-Transparente auf den Demonstrationen, die zu ihrem Gedenken veranstaltet werden. So wird es auch heute sein. Denn der Tod der jungen Antifaschistin hat die linksradikale Szene wohl stärker geprägt als der aller anderen, die in Deutschland bei Polizeieinsätzen zu Tode kamen.

Wessmann zog Mitte der Achtziger Jahre aus dem Emsland nach Göttingen. Dort eskalierte zu jener Zeit die Auseinandersetzung zwischen der Hausbesetzerszene und Neonazis, die im Südharz ein Schulungszentrum aufgebaut hatten immer wieder in der Universitätsstadt einfielen. "Die sind damals losgezogen und haben Ernst gemacht," sagt Johannes Roth von der Antifaschistischen Linken International (ALI). Immer wieder habe es Angriffe mit Messern und Baseballschlägern gegeben. "Sich zu wehren war eine unmittelbare Notwendigkeit," sagt Roth.

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So auch am 17. November, als eine Gruppe von Neonazis in der Stadt unterwegs war. Bei einer der Gruppen, die sich aufmachten, um die Neonazis zu vertreiben, war Wessmann dabei. Als ihre Gruppe in der Innenstadt eintraf, waren die Nazis schon weg, die Polizei aber noch da. Beamte des "Zivilen Streifenkommandos" (ZSK) setzten der Gruppe um Wessmann nach. Später wurde ein Funkspruch bekannt, in dem der Einsatzleiter die Frage bejaht haben soll, ob die ZSK-ler die Antifas "plattmachen" sollen. Ein Polizeisprecher erklärte danach, mit "plattmachen" sei eine Personenkontrolle gemeint. Die Antifas flüchteten über eine stark befahrene Straße. Dabei wurde Wessmann von einem Auto erfasst. Sie war sofort tot. Für die linke Szene war die Sache klar: "Conny" wurde von der Polizei in den Tod gehetzt.

Der Tag des Unfalls fiel in eine besondere Zeit. Acht Tage zuvor war die Mauer gefallen. Später schrieben Göttinger Antifas, dass sie dieses Ereignis vor allem so interpretiert hätten, dass es "die Herrschenden von der Verpflichtung enthob, sich als die bessere Hälfte der Welt zu präsentieren". Wie viele Linke fürchteten sie eine Zunahme der Repression. Wessmanns Tod interpretierten viele als die unmittelbare und radikale Bestätigung dieser Befürchtung.

Neun Tage später marschierten 20.000 Menschen schweigend zur Unfallstelle, hinterher gab es schwere Verwüstungen in der Stadt. Wenige Monate später schlossen sich die Göttinger Antifas zur "Autonomen Antifa (M)" zusammen, die in den folgenden Jahren "große Orientierungskraft" für die Antifa in ganz Deutschland erlangte, wie Roth es formuliert. "Die Stimmung war so, dass man dachte, man wird jetzt hier umgebracht." Göttingen wurde zum Anziehungspunkt für viele Linke und die "M" war lange Zeit bundesweit tonangebend für die linke Szene.

Erstaunlicherweise führte dies in Göttingen aber nicht zu der radikalen Abgrenzung zum bürgerlichen Spektrum, die für das Selbstverständnis Linker andernorts so entscheidend ist. Ausgerechnet dort, wo das polizeiliches Vorgehen gegen sie drastischsten Folgen hatte, schmiedete die militante Szene nach Wessmanns Tod ein Bündnis mit dem liberalen Bürgertum. Und trotz der Krawalle nach der ersten "Conny"-Demo und weiterer folgender hielt die Allianz gegen Rechtsextremismus .

"Das hat natürlich mit der Struktur der Bevölkerung zu tun," sagt Roth. In der Universitätsstadt lebten viele Menschen, die im Bildungsbereich tätig waren, ihre Kinder waren in der linken Szene aktiv - "da gab es einen gemeinsamen Erfahrungsraum". Auch Patrick Humke-Focks, der für die Linke im Göttinger Stadtrat und im niedersächsischen Landtag sitzt, sieht das so. "Hier hat sich eine andere Bündniskultur entwickelt. Antifa, Kirchengemeinden und Kneippverein machen was zusammen und man distanziert und verurteilt sich nicht gegenseitig." Das sei "ein guter Unterschied" zu anderen Städten

Während die politische Allianz auf lokaler Ebene funktionierte, eskalierte der Konflikt mit den Behörden. Wegen einer Reihe von Anschlägen leitete Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen der "Bildung einer kriminellen Vereinigung" ein. Der "Antifaschismus" im Namen der Organisation sei dabei "nur ein griffiges Mittel zum Zweck, um mit anderen Gruppierungen und Politikern bündnisfähig zu werden". Insgesamt 13.929 Telefonate wurden abgehört, doch zu einer Verurteilung kam es nie.

Was der Staat nicht vermochte, das erledigte die Antifa in den folgenden Jahren ein Stück weit selbst. Letztlich war es wohl der Riss zwischen der internationalistischen und der antideutschen Strömung, der 2004 zur Auflösung der "M" führte. In einer Erklärung sprach die Gruppe knapp von "Differenzen".

Wie in Göttingen üblich, hat die nunmehr gespaltene Göttinger Antifa heute darauf verzichtet, ihre Gedenkdemo anzumelden. "700 Autonome" erwartet die Polizei. Solange alles friedlich verlaufe, würden die Beamten nicht einschreiten, heißt es. Ähnlich äußert sich die Stadt. "Es muss ja nichts passieren und dann wird das auch ganz würdig ablaufen," sagt ihr Sprecher Detlef Johansson." Und wenn nicht? "Dann ist die Polizei gefragt und fühlt sich auch gefragt."

Der Linke Humke-Focks hat einen Antrag in den Rat der Stadt eingebracht, in dem sich Göttingen bei allen Antifas für ihren Kampf gegen den Faschismus bedankt und die Polizei zur Mäßigung aufruft. Der Vorstoß ging letzte Woche durch - mit der Mehrheit von SPD, Grünen und Linkspartei.

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