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Chinas neue Mittelschicht muckt aufZiviler Ungehorsam

Bürger protestieren mit "Spaziergängen" gegen umweltgefährdende Industrieprojekte in ihrer Nachbarschaft. Polizei lädt Aktivisten "zum Tee", um sie vor der Teilnahme an Protesten zu warnen.

Viele Umweltvorschriften in China sind zwar gut, aber die Kontrollbehörden zu schwach oder korrupt, sie durchzusetzen. Bild: dpa

Die Information verbreitete sich per Flüsterpropaganda: "Wir treffen uns vor der Stadtverwaltung." Am vergangenen Montag versammelten sich hunderte Bewohner der südchinesischen Stadt Panyu vor dem Amtsgebäude. Manche trugen Transparente, einer hatte eine Gasmaske aufgesetzt, ein anderer eine Schutzbrille. Sie riefen: "Wir verteidigen unsere Wohnungen mit unserem Leben!" und "Hört auf die Bürger!"

Was die Bürger von Panyu, einer 2, 5-Millionen-Einwohner-Stadt im dicht besiedelten Industriegebiet des Perlflussdeltas ("Werkbank der Welt"), zum Protest trieb: Die Behörden wollen ganz in der Nähe ihrer Wohnsiedlungen eine neue Müllverbrennungsanlage errichten. Das Werk soll umgerechnet etwa 91 Millionen Euro kosten und täglich 2.000 Tonnen Müll verbrennen. Die Panyuer befürchten, dass durch die Schornsteine giftige Abgase wie Dioxin in die Luft geblasen werden. Ein Stück weiter, im Ort Likeng, steht bereits so ein Müllverbrennungswerk. Dort geht das Gerücht, dass die Zahl der Krebserkrankungen deutlich zugenommen habe. Die Behörden dementieren dies.

Jedes Jahr kommt es in China zehntausendfach zu Unruhen und Protesten - und häufig werden sie gewaltsam von der Polizei niedergeschlagen. Doch der wachsende Wohlstand hat eine neue Mittelschicht städtischer Wohnungseigentümer hervorgebracht, die ihre Interessen schützen wollen.

So gehören Proteste wie in Panyu heute zum Alltag. Die Aktionen sind zuweilen sogar erfolgreich: In Schanghai etwa demonstrierten im vergangenen Jahr Anwohner gegen den geplanten Ausbau der Transrapid-Strecke direkt neben ihren Häusern, weil sie Angst vor magnetischen Strahlen hatten. Das Projekt wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.

Aufsehen erregten im Jahr 2007 auch die sorgsam organisierten Aktionen in der Küstenstadt Xiamen, die sich gegen den Bau eines gigantischen Chemiewerks richteten. Dort sollte giftiges Paraxylen produziert werden, mit dem Plastikprodukte und Farben hergestellt werden. Die Anwohner griffen auf Methoden des zivilen Widerstands zurück: Tausende machten sich zu sogenannten Spaziergängen gegen die Fabrik auf. Die Polizei hielt sich zurück, schließlich gaben Behörden und Firma auf. Das umstrittene Werk soll nun 90 Kilometer entfernt in einer weniger besiedelten Region gebaut werden. Dort, so hoffen Fabrikherren und Behörden, sind die Anwohner weniger gut vernetzt - und deshalb nicht so schlagkräftig.

Die Nachricht über den jüngsten Protest von Panyu verbreitete sich wie ein Lauffeuer - obwohl örtlichen Behörden der Presse einen Maulkorb verhängt haben. Im Internet, per Twitter, auf Blogs und durchs Handy konnten Landsleute in allen Ecken Chinas die Bilder der Demonstranten sehen. Wer die Anführer sind, verraten die Organisatoren nicht - aus gutem Grund: Einige Tage zuvor waren bereits einige Aktivisten von der Polizei "zum Tee" eingeladen worden. Das bedeutet in der Regel eine ernste Warnung, nicht zu weit zu gehen. Die Behörden hatten Wind von dem Plan bekommen, ein Protest-Autokorso zu organisieren, der als harmloser "Sonntagsausflug" durch die Stadt deklariert werden sollte.

Viele der Widerständler trauen den Beteuerungen der Funktionäre nicht, die Anlage werde der Gesundheit der Anwohner nicht schaden. Nach den Vorschriften muss die Öffentlichkeit vor dem Bau von wichtigen Projekten über die Auswirkungen auf die Umwelt informiert und sogar konsultiert werden - wobei allerdings niemand so recht weiß, was die Regierung unter "Öffentlichkeit" versteht.

Die Krux: Viele Umweltvorschriften in China sind zwar gut, aber die Kontrollbehörden zu schwach oder korrupt, sie durchzusetzen. Trotzdem ziehen chinesische Bürger immer wieder vor Gericht, um die Regierung zu zwingen, die Gesetze zu respektieren. Zudem trauen viele Chinesen den Informationen ihrer Regierung nicht - so auch der Beteuerung, dass Müllverbrennungsanlagen unschädlich sind. So verklagte ein Dorfbewohner im Kreis Suzhou die Behörden, weil sie eine Kläranlage wenige Dutzend Meter neben seinem Haus gebaut hatten, ohne die Ergebnisse der Umweltprüfung zu veröffentlichen.

In Panyu hat die Polizei die Demonstration gegen die Müllverbrennungsanlage friedlich aufgelöst. Die Stadtregierung versprach, die Umweltprüfung abzuwarten, bevor sie mit dem Bau beginnt. Der Kampf der Bürger ist noch nicht zu Ende.

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1 Kommentar

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  • M
    Martin

    Magnetische Strahlen. Soso! Also entweder ist es Dummheit oder Bösartigkeit, nachweislich harmlose magnetische Felder so zu bezeichnen. Dies suggeriert eine Gefährlichkeit und verbale Nähe wie z.B. zu radioaktiver Strahlung. So sinnvoll die Thematik im Artikel auch ist, wird die erprobte Technologie des Transrapids quasi rufmordartig in einem Atemzug mit "giftigen Abgasen wie Dioxin", "Krebserkrankungen" oder "giftigem Paraxylen" genannt. Ein bisschen mehr Differenziertheit täte der journalistischen Recherche gut!