: Datenschutz nicht mehr so eng
Der Koalitionsvertrag von Union und SPD zum Thema innere Sicherheit liest sich wie eine Liste von Vorhaben des scheidenden Ministers Otto Schily (SPD), die er selbst nicht verwirklichen konnte
VON ASTRID GEISLER
Das Papier liest sich wie ein Testament: mehr Kompetenzen für das Bundeskriminalamt, eine neue Antiterrordatei, die Zentralisierung des Katastrophenschutzes – es sind Projekte aus dem Ideenschatz von Innenminister Otto Schily, die das Kapitel innere Sicherheit des Koalitionsvertrages prägen. Prestigevorhaben, für die der SPD-Minister beharrlich, aber vergeblich warb. Der Vertrag der Erben hat eine klare Botschaft: Was Schily nicht mehr zustande brachte, weil Länderfürsten aufbegehrten oder die Grünen nicht mitzogen – unter dem designierten Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) soll es wahr werden.
Vorbei also die Zeiten der Glaubenskämpfe um Dateiformate und Kompetenzgrenzen von Behörden? Dieser Schluss könnte sich als vorschnell erweisen. Denn das Koalitionspapier bleibt just da verblüffend vage, wo bereits in der Ära Schily die Streitlinien verliefen.
So kündigen die Großkoalitionäre nur an, „schnellstmöglich eine Antiterrordatei“ zu schaffen. Doch ob eine Index- oder Volltextdatei aufgebaut wird, das bleibt offen. Ähnlich das Ergebnis beim Dauerbrenner Katastrophenschutz, traditionell in Länderzuständigkeit. Schily hatte als Basis für eine Strukturreform das neue Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe geschaffen. Die Länder versagten dem Amt jedoch die gewünschte Leitungsrolle bei Großkatastrophen. Union und SPD wollen nun die „Steuerungskompetenz“ der Behörde „stärken“. Was das heißt? Der Vertrag verrät es nicht.
Innenexperten der Koalition wie Dieter Wiefelspütz (SPD) verteidigen diese Wolkigkeiten. Das Papier sei zwar „hinreichend unbestimmt“, aber aus gutem Grund, so Wiefelspütz. Schließlich hätten Union und SPD nur eine Zielvereinbarung getroffen, Einzelheiten aber nicht über die Köpfe der Länder hinweg entscheiden können. Ob Kompromisse unter einem Innenminister Schäuble schneller zustande kommen, werden die nächsten Monate zeigen. Zumindest einige Länderminister taten bereits ihren Unmut über die BKA- und Katastrophenschutzpläne der Koalition kund, da war der Vertrag noch nicht gedruckt.
Zu den lautesten Kritikern gehörte NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP). Der Liberale vergaß nicht zu erwähnen, warum die Meinung der FDP in diesem Fall durchaus von Belang sein könnte: Die BKA-Reform ist Teil eines geplanten Gesetzespakets zur Föderalismusreform, für die das Grundgesetz geändert werden soll. Ihre nötige Zweidrittelmehrheit im Bundesrat bekomme die Regierung nur „mit Hilfe der Stimmen der FDP in den Landesregierungen“ zusammen.
Die Grünen hingegen fürchten, dass keiner mehr da sein könnte, um den Rückbau der Bürgerrechte im Namen des Antiterrorkampfes zu stoppen. So kritisiert die Grünen-Innenexpertin Silke Stokar, der Datenschutz werde von der Koalition „nur noch als Hinderungsgrund für eine wirksame Terrorismusbekämpfung angeprangert“. Aus der Luft gegriffen scheint diese Sorge nicht. Schließlich kündigt die Koalition unmissverständlich an, was Priorität hat: Geprüft werden soll, „inwieweit rechtliche Regelungen, etwa des Datenschutzes, einer effektiven Bekämpfung des Terrorismus und der Kriminalität entgegenstehen“.
Auch beim Kampf gegen Rechtsextremismus sehen die Grünen schwarz. Schließlich enthalte der Koalitionsvertrag nicht mehr als unverbindliche Floskeln. Diese Lesart will der SPD-Rechtsextremismusexperte und Teilnehmer der Koalitionsverhandlungen, Sebastian Edathy, nicht gelten lassen. Union und SPD hätten sich explizit verpflichtet, die Arbeit gegen rechts zu „verstetigen“, so Edathy.