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Nationale Identität in Frankreich"Debatte weckt niedrigste Instinkte"

Die von der Regierung lancierte Debatte um die nationale Identität in Frankreich treibt groteske Blüten und fördert peinliche Ausrutscher. Ein Senf nationaler Selbstbetrachtung.

Versuchte vergeblich, die national(istisch)e Debatte wieder in einigermaßen präsentierbare Bahnen zu lenken: Nicolas Sarkozy. Bild: ap

PARIS taz | "Was bedeutet es, Franzose zu sein?" Diese bange Frage beschäftigt ein offenbar von Zweifeln an seiner Identität geplagtes Frankreich. Überall im Land müssen nämlich auf Geheiß von Immigrationsminister Eric Besson die lokalen Behörden Diskussionsabende veranstalten. Und wie das bei einer solchen nationalistisch inspirierten Nabelschau nicht anders zu erwarten war, ging die Sache schnell unter die ideologische Gürtellinie. Die Debatte wurde zum Spucknapf für ausländerfeindliche (G)Eiferer. Und diese befinden sich nicht unter deklarierten Rechtsextremisten, die an Diskussionsabenden ungeniert im T-Shirt mit der Aufschrift "La France, tu l'aimes ou tu la quittes" (Wenn du Frankreich nicht liebst, kannst du ja gehen) erscheinen. Auch diverse Mitglieder der Regierungspartei UMP leisteten sich auf dem glitschigen Terrain der national(istisch)en Identität peinliche Ausrutscher.

In Verdun sagte der UMP-Bürgermeister des 40-Seelen-Dorfs Gussainville, André Valentin, vor Fernsehkameras: "Es ist an der Zeit, dass wir reagieren. Sonst werden wir aufgefressen. Von wem? Es hat schon zehn Millionen von denen, die wir dafür bezahlen, dass sie auf der faulen Haut liegen!" Wen er damit meint? Alle, die ähnlich gehässige Vorurteile gegen Immigranten und junge Arbeitslose in den Vorstädten der Banlieue haben, verstanden die augenzwinkernde Anspielung. Die Debatte dreht sich fast immer nicht um die Franzosen, sondern die "anderen", die Angst machen, von denen es sich abzugrenzen gilt. Gemeint sind dabei die muslimischen Immigrantenkinder der Banlieue-Ghettos. Familienministerin Nadine Morano hat nichts gegen sie - sofern sie sich an die Spielregeln der Integration halten: "Was ich von einem jungen Muslim erwarte, der die französische Nationalität hat, ist, dass er sein Land liebt, dass er eine Arbeit findet, dass er nicht Verlan (Jargon der Banlieue-Jugend) redet und dass er nicht die Mütze verkehrt trägt." Sie verriet damit, in welchen negativen Klischees sie über diese Jugendlichen denkt, die offenbar nicht in ihr Bild des Musterfranzosen passen.

Vergeblich versuchte Präsident Nicolas Sarkozy mit einem Aufruf zur religiösen Toleranz und zum gegenseitigen Respekt zwischen "jenen, die ankommen, und jenen, die aufnehmen" die Debatte über die Immigration wieder in einigermaßen präsentierbare Bahnen zu leiten. Diese hat eine Eigendynamik entwickelt mit einem Bumerangeffekt für die "Zauberlehrlinge" an der Staatsführung, welche die Geister, die sie rief, nicht mehr zu kontrollieren vermag. Im Internet, wo zehntausende von Bürgern ihren Senf zur nationalen Selbstbetrachtung abgeben, müssen rund 15 Prozent der Beiträge zensiert werden, weil sie politisch zu unkorrekt sind. Andere spotten da auch über den absurden Hurrapatriotismus ihrer Landsleute: "Ich liebe mein Land über alles, obwohl der Camembert fürchterlich stinkt…"

Kritische Stimmen mehren sich im Regierungslager. "Was ich befürchtet habe, ist eingetreten", meint konsterniert der von Sarkozy eingesetzte Regierungsbeauftragte für ethnische Minoritäten, Yazid Sabeg: "Diese Debatte wird zu einem Ausguss" (für xenophobe Bemerkungen). Für den früheren gaullistischen Minister François Baroin "weckt diese Debatte die niedrigsten Instinkte". Die linke Opposition fordert ihren Abbruch. Die Regierung hält daran fest und will wie geplant im Februar die "Ergebnisse" zusammenfassen, um ihrem nationalistischen Propagandafeldzug wenigstens nachträglich eine Legitimität zu geben. Dass es sich beim ganzen Unterfangen vorab um ein Manöver mit politischen Hintergedanken handelt, haben laut Umfrage 72 Prozent der Französinnen und Franzosen durchschaut: Vor den Regionalwahlen im März möchte die Regierungspartei die Sympathien der nationalistischen Rechten zurückgewinnen, um so ein Wiedererstarken von Jean-Marie Le Pens Front National zu kontern. Stattdessen, so befürchtet Sabeg, "öffnet sie damit der Front National viel Raum".

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11 Kommentare

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  • K
    Krause

    Solch ein Schwachsinn, die Herren Linken Meinungsmacher sollten sich so langsam daran gewöhnen das eine neue Generation freier Europäer herangewachsen ist,welche sich nicht (dank Internet) für Dumm verkaufen läßt! Jede Nationale Bewegung wird sofort mit Neonazis verglichen/gleichgesetzt, das hat Methode!

    Linke Meinungsmafia stoppen!!!

  • F
    Felix

    "Den Unzufriedenen..vorzuhalten, sie würden "niedersten Instinkten" folgen, weil sie eine andere Meinung haben, hilft da auch nichts."

     

    Doch!

    Meinungen gibt es wie Sand am Meer - inklusive dieser oben zitierten. Repekt aber auch dazu, da diese die Meinungsfreiheit UND Wertefreiheit hochhält.

     

    "vorzuhalten, sie würden "niedersten Instinkten" folgen" ist aber sehr notwendig, denn niedrige Instinkte sind auf Angst basierende Reaktionen, die zu sinnfreien, panik-, besser noch Amok-Läufen führen.

     

    Daher ist gerade hier Aufklärung nötig, denn Angst gebiert Flucht oder Aggression. Liebe erschafft Neues, Lösungen, Miteinander...und ignoriert Dummheiten, wie zB alte Werte- u.a. -Systeme.

  • F
    Felix

    Solange die Reichen regieren, tut es doch keine Not, dass sich die Armen untereinander fürchten - als Menschen mit schräg sitzender Mütze, wie albern ist das denn. Die Grande Nation zeichnet sich in erster Linie ja auch nicht durch ihre Nationalität aus - auch wenn das heute, bekräftigt durch die politisch-mlitärische Führungsriege, immer mehr hervorgehoben wird - sondern durch Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit. La grande Revolution, müßte man sagen. Die Debatten-Initiatoren wollen - neben ihrer Wiederwahl - nur unsere Aufmerksamkeit von Ihnen ablenken und das zu Lasten der Stimmung unter uns Mitbürgern. Mahlzeit

  • G
    Gallier

    Bei uns finden im kommenden März Kommunalwahlen statt. Da braucht man emotionsgeladene Themen, um von der dramatischen Wirklichkeit abzulenken, wie steigende Massenarbeitslosigkiet, sinkende Kaufkraft, Vorstadtprobleme usw. Es ist zweifellos sinnvoll, über die nationale Identität nachzudenken, angesichts der Globalisierung und Masseneinwanderung, ich bin voll dafür. Es muss aber ein Subthema sein.

  • RE
    runde Ecke

    Sieht ganz so aus, als hätte Sárkozy Pál (Nicolas Sarkozys Vater) Frankreich irgendwie geliebt, sonst wäre er nicht aus Ungarn eingewandert und hätte in der Grande Nation nicht seine Kinder großgezogen. Der President de la République ist also ein enfant de deuxième generation. Der Debatte Frankreich zu lieben oder es zu verlassen kann sich jeder entziehen, indem er sich zu Frankreich bekennt. Erst wenn er dann auf Resentiments stößt kann man von Xenophobie sprechen.

  • V
    vic

    Unterm Strich bleibt festzustellen;

    dieses Europa macht Angst. Angefangen bei der BRD selbst, weiter über alle Nachbarstaaten und darüber hinaus.

  • L
    luzie

    Bei uns in der BRD weren die Meinungen zur Staatszugehörigkeit ebenso lanciert. Von Poloitik und kommerziellen Medien. Wir können uns darauff einstellen das es da zu noch größeren Manipulationen kommt. Weder Politiker noch Wirtschaftsbosse wissen wohin mit den Opfern der verfehlten Politik. Also muß es Schuldige und Sozialschmarotzer geben. Eben die Opfer!

  • HS
    Herwig Schafberg

    Was bedeutet es, Franzose zu sein? Das ist eine interessante Frage, die seit einiger Zeit in Frankreich heftig diskutiert wird. Dass viele Franzosen diese Frage mit migrantenkritischen Äußerungen beantworten würden, war zu erwarten und mag die einen mehr, die anderen weniger erschrecken. Manche - besonders in den Oppositionsparteien - sind anscheinend so erschrocken, dass sie den Abbruch der Diskussionen fordern, als ob man in einer Demokratie die Beendigung von Diskussionen anordnen könnte und sollte. Wer derartige Forderungen stellt, setzt sich dem Verdacht aus, dass er auch die Versammlungsfreiheit nur dann gewahrt haben will, wenn die Versammelten ihm genehm sind.

  • U
    Unicum

    Wie gefährlich das sein kann, kann man im Falle Ungarns sehen. Die dortigen National-Konservativen haben ähnliche Spielchen getrieben und damit die Büchse der Pandorra geöffnet. Nun muss man sogar befürchten, dass die wie aus der Asche wiederentstandenen Rechtsradikalen zweitstärkste Kraft im Lande werden. Furchtbar!

  • S
    Shrike

    Naja ob eine solche von oben abgestoßene Debatte viel bringt ?

    Gerade bei diesem Thema ?

     

    Andererseits ist es immer wieder lustig zu sehen, wie sich die politisch korrekte Fraktion (inklusive der taz) ärgert, wenn die Andersdenkenden ihre abweichende Meinung auch sagen.

     

    Machen wir uns nichts vor:

    In Frankreich (wie auch in GB,D, NL etc.) ist ein Teil der Bevölkerung von der Einwanderung nicht begeistert.

    Jetzt Debatten in Gang zu setzen (30-40 Jahre zu spät !)bringt da nur wenig.

     

    Die Einwanderer werden nicht mehr gehen, die Probleme auch nicht.

    Ob die Leute denen das missfällt jetzt öffentlich kotzen oder im Schutze des anonymen Internets, in jedem Fall wird es noch viel Streit und viele Diskussionen geben.

     

    Den Unzufriedenen überheblich vorzuhalten, sie würden "niedersten Instinkten" folgen, weil sie eine andere Meinung haben, hilft da auch nichts.

  • H
    Hermann

    Das erinnert doch sehr an Herrn von Goethe: „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los".

     

    Andererseits hätte nach dem Minarettverbot klar sein müssen, worin eine solche "Debatte" endet. Vielleicht also doch gewollt ?!?