Tschetschenen drohen mit Selbstmord: Massenflucht nach Straßburg

Die polnische Polizei stoppte eine Protestfahrt von tschetschenischen Flüchtlingen zum Europäischen Menschengerichtshof in Straßburg. Sie beklagen schlechte Behandlung durch Polen.

UNICEF Foto des Jahres 2007: Straßenszene in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny. Bild: ap

So verzweifelt waren tschetschenische Flüchtlinge in Polen noch nie. Zu Wochenbeginn entschlossen sich 156 von ihnen zur Massenflucht nach Straßburg – schwarz mit der Bahn. Vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wollten sie gegen ihre schlechte Behandlung in Polen protestieren. Doch Polizei und Grenzschutz stoppten den Zug an der Grenze zu Deutschland bei Görlitz. Jetzt sitzen einige der Flüchtlinge in Abschiebehaft, andere drohen mit Selbstmord oder Hungerstreik.

In Debak bei Warschau, wohin die meisten Flüchtlinge gebracht wurden, ging es am Donnerstag hoch her. "Wir wollten wissen, was für Hilfe sie von uns erwarten", sagte Ewa Piechota, die Sprecherin des Ausländeramtes.

Das Treffen der Beamten mit den tschetschenischen und georgischen Flüchtlingen zog sich drei Stunden hin. Journalisten hatten keinen Zutritt. "Wir wollen die Flüchtlinge nicht zu großem Stress aussetzen", erklärte Piechota. "Ein Gespräch mit Journalisten würde sie zu sehr aufregen." Auch ein Besuch des Lagers wäre der Ruhe abträglich, welche die Flüchtlinge dringend bräuchten. Das Tor blieb zu. In Warschau schneite es bei minus 11 Grad. "Kommen die Flüchtlinge zu Ihnen heraus, können Sie ja mit ihnen reden."

Tatsächlich kamen einige an das Gittertor. Noch aufgewühlt vom Gespräch mit den Beamten, schrien sie auf Russisch: "Wir machen Selbstmord, wenn die Verhafteten nicht freigelassen werden!" und "Wir treten in den Hungerstreik!" Die Ausländerbehörde habe 72 Stunden, um ihre Forderungen zu erfüllen. Polens Regierung solle einen Zug bereitstellen, mit denen sie nach Straßburg fahren könnten, um ihre Klagen beim Menschenrechtsgerichtshof vorbringen zu können.

Beschweren wollten sie sich über das Schneckentempo von Polens Behörden: Jahrelang müssten die Flüchtlinge in Heimen hausen, ohne zu wissen, wie es weitergehe. Sie hätten keine Arbeit, viel zu wenig Geld, und auch die ärztliche Versorgung sei schlecht. Zudem würden sie auf der Straße immer wieder überfallen, verprügelt, ausgeraubt. Viele verließen Polen daher noch während des Verfahrens.

Dies zeigt auch die offizielle Statistik des Ausländeramtes. In diesem Jahr wurden bis zum 10. Dezember 5.534 der 10.058 Anerkennungsverfahren tschetschenischer Flüchtlinge vom Amts wegen eingestellt. Trotz finanzieller Unterstützung durch die EU und des Beistands verschiedener Organisationen sieht sich Polens Regierung außerstande, den Asylbewerbern echten Schutz zu gewähren. So verlassen selbst anerkannte Flüchtlinge – 2009 bislang 127 – wieder das Land, weil sie keine Chance sehen, sich in Polen ein neues Leben aufzubauen.

Hauptzielländer der Tschetschenen aus Polen sind Österreich, die Niederlande, Großbritannien und die skandinavischen Staaten. Manche schaffen es auch nach Deutschland oder Frankreich. Bekannt werden soll das aber im Ausland möglichst nicht. Für Journalisten bleibt das Tor in Debak auch am Freitag zu.

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