LITERATUR
: Sprachmächtiger Weltretter

„Jeder von euch hat viel Trauriges erlebt, aber es nützt nichts, das Erlebte zu verschweigen. Ihr müsst darüber reden, müsst es loswerden, sonst bleibt es für immer in euch gefangen.“ Es sind die Sprachlosigkeit seiner Mitbewohner_innen und nicht zuletzt die entpersonalisierte Sprache der Abschiebebehörden, auf deren Bescheid hier alle warten, denen der 15-jährige Westafrikaner Ali in der jugendlichen unbegleiteten Flüchtlingen vorbehaltenen Etage eines fiktiven Wiener Flüchtlingsheims seine sprachgewaltigen Erzählungen von gescheiterten und geglückten Fluchtgeschichten, Gewalterfahrungen, Alltagsrassismus, Zwangsprostitution und Kriegserlebnissen entgegensetzt. Geschichten wie jene seines Zimmergenossen Djaafar, dem man „in seiner Heimat Afghanistan die Sprache aus dem Leib geschlagen“ hat, „gründlich und Wort für Wort“. Um „die Geschichten aufzuspüren, sie der Finsternis zu entreißen, um solcherart Licht ins Dunkel zu bringen“. 40 Sprachen spricht der frühreif-altkluge selbst ernannte „Anwalt der Unterdrückten“ in Martin Horváths Debütroman „Mohr im Hemd oder Wie ich auszog, die Welt zu retten“ (DVA, 352 S., 19,99 Euro) nach eigenen Angaben, weiß alles, kann alles – und schwingt sich schließlich zum Anführer einer Migrantenrevolte auf – oder hat er sich das nur erträumt? Ein von Zorn getriebener und dennoch leichtfüßig-irrwitzig fabulierender Schelmenroman über das Überleben in der Unmenschlichkeit ist Horváth da gelungen. Am Montag und Dienstag stellt Horváth sein Romandebüt in Lüneburg und Lübeck vor.  MATT

■ Lüneburg: Mo, 18. 2., 20 Uhr, Literaturbüro, Heinrich-Heine-Haus, Am Ochsenmarkt 1; Lübeck: Di, 19. 2., 19 Uhr, Buddenbrookhaus, Mengstraße 4