Verfrühte Siegesgesänge

Teams der Woche: Beim Lokalderby zwischen Babelsberg und Union in der Fußballoberliga Nordost sahen dieBerliner bis kurz vor Spielende wie der sichere Sieger aus. Doch die Babelsberger drehten den Spieß noch einmal um

Mit jeder Lobeshymne der Sportskanone Rastislav Hodul schien Union Berlins Trainer Frank Lieberam betrübter aus seinen wasserblauen Augen zu blicken. Als der Slowake und Trainer des Rivalen Babelsberg am Ende des Heldenepos seiner Mannschaft „einen riesigen Charakter und ein sensationel- les Kämpferherz“ attestierte, wünschte sich Frank Lieberam wohl eher, eine Nasa-Sonde zu sein, auf Mission weit draußen im Weltall, wo die Flugbahn ei- nes Fußballs leichter zu berechnen wäre als in der Oberliga Nordost.

Auf dem gefrorenen Boden des Karl-Liebknecht-Stadions in Potsdam hatte Lieberam mit seiner Elf eine harte Landung hingelegt und das Spitzenspiel mit 2:3 verloren. Die „Bayern der Oberliga“ aus der Wuhlheide, die ihren Profikader aus einem für die 4. Spielklasse sensationell hohen Etat von 1,9 Millionen Euro speisen, entfernen sich nach ihrer zweiten Saisonniederlage immer weiter von dem programmierten Aufstiegskurs in die Regionalliga.

Dabei hatten sich die Eisernen gerade vor dem Gastspiel in Babelsberg intern auf einen absoluten Siegeswillen eingeschworen, um den Rückstand auf Spitzenreiter Neuruppin zu verkürzen. Nun führt Neuruppin, das beim BFC Dynamo nicht über ein 0:0 hinauskam, gemeinsam mit Babelsberg. Union liegt bereits fünf Zähler zurück auf einem enttäuschenden 4. Rang.

In Lieberam wuchsen nach Spielschluss Zweifel an der Meistertauglichkeit seiner Mannschaft. „Der eine oder andere Spieler ist noch zu grün und überfordert mit so einer Atmosphäre“, haderte der Übungsleiter angesichts des aufgeheizten Klimas vor 10.000 Fans im Stadion. Dabei waren die Köpenicker im „Karli“ zweimal in Führung gegangen: Daniel Teixeira erzielte nach 64 Spielminuten das 1:0. Nachdem Patrick Moritz den Spielstand für die Hausherren fünf Minuten später egalisieren konnte, zirkelte Unions Sebastian Bönigs in der 81. Minute einen Freistoß kunstvoll zum 2:1 ins Babelsberger Heiligtum.

Doch während die vielen Berliner Anhänger sich schon gesanglich auf einen Auswärtssieg einstimmten, frönte die vereinseigene Abwehr in der Filmstadt ihrer Vorliebe für Horrorszenen. Zunächst wollte Benjamin Koch seinen Gegenspieler Georg Froese durch ein geschicktes Vorwärtsmanöver ins Abseits stellen. Unglücklicherweise waren seine Kollegen nicht in die gewagten Pläne eingeweiht. Nix Abseitspfiff – dafür 2:2 durch Froese, einen früheren Unioner (82. Minute). In der Nachspielzeit köpfte Abwehrchef David Bergner dem Babelsberger Patrick Moritz den Ball einschussbereit aus den Vollspann. Unions Niederlage war perfekt.

Blass vor Enttäuschung und Wut stapfte Berlins Teammanager Christian Beeck wortlos in die Kabine. In der Halbzeitpause hatte er prophezeit, dass kleine Fehler den Ausschlag geben würden. Dass er Recht behalten sollte, stimmte ihn nicht fröhlicher.

„Wir stellen uns einfach zu dumm an. Jetzt stehen wir wieder mit dem Rücken zur Wand“, schimpfte Unions unglücklicher Kunstschütze Bönig beim Verlassen des Feldes. „Im Endeffekt hat unsere Willenskraft den Ausschlag gegeben“, frohlockte Babelsbergs Mittelfeldmotor René Tretschok.

Hinter den schweißtriefenden Akteuren tobte mittlerweile der Mob. Fans der Berliner, die schon zu Beginn der zweiten Halbzeit mit dem Abschießen von Leuchtraketen und bengalischem Feuerwerk für Unruhe gesorgt hatten, überwanden die Sicherheitsbarrieren und versuchten, das Revier der gegnerischen Anhänger zu entern. Auf der Haupttribüne entgleisten Eisernen-Anhängern sämtliche Gesichtszüge zur Unfairfratze. Um einen Zusammenprall beider Lager zu verhindern, gingen Polizei und Sicherheitskräfte konsequenter dazwischen als mancher Spieler während des sportlichen Vorspiels. JÜRGEN SCHULZ