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Missbrauch in der Katholischen KircheRegierung erhöht Druck auf Bischöfe

Kurz vor Beginn der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz fordert die Regierung eine lückenlose Aufklärung der Missbrauchsfälle. Die Justizministerin plädiert für Runden Tisch.

Der Skandal um Missbrauchsfälle aus den 60er, 70er und 80er Jahren weitet sich aus. Bild: dpa

FRANKFURT/MAIN apn | Die katholische Kirche gerät wegen der rapide steigenden Zahl von Missbrauchsvorwürfen zunehmend unter Druck. Unmittelbar vor Beginn der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am Montag in Freiburg drang die Bundesregierung auf eine lückenlose Aufklärung der Fälle. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schlug dazu im Spiegel Ombudsleute und einen Runden Tisch aus Staats-, Kirchen- und Opfervertretern vor.

Die FDP-Politikerin sagte, sie erwarte von der katholischen Kirche "konkrete Festlegungen, welche Maßnahmen für eine lückenlose Aufklärung ergriffen werden". Ein Runder Tisch sei ein guter Weg, um Missbrauchsfälle aufzuklären und über Entschädigungen zu reden.

Währenddessen weitet sich der Skandal um Missbrauchsfälle aus den 60er, 70er und 80er Jahren immer weiter aus. Mindestens sechs katholische Einrichtungen sind laut Spiegel mit neuen Vorwürfen konfrontiert, darunter zwei ehemalige Heime der Salesianer Don Boscos in Augsburg und Berlin, wo drei Geistliche und ein Mitarbeiter Minderjährige missbraucht haben sollen.

Ebenfalls betroffen sein sollen ein ehemaliges Kinderheim der Vinzentinerinnen im oberschwäbischen Oggelsbeuren sowie das Maristen-Internat in Mindelheim (Bayern) und das frühere Franziskaner-Internat in Großkrotzenburg bei Hanau. Missbrauchsvorwürfe gibt es demnach auch gegen frühere Mitarbeiter des Franz-Sales-Hauses in Essen, einer Behinderten-Einrichtung.

Hamburger Erzbischof stellt Reformen in Aussicht

Die Missbrauchsfälle sollen auch ein Thema bei der Deutschen Bischofskonferenz sein, deren Frühjahrs-Vollversammlung am Montag in Freiburg beginnt. Der Vorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch, hat eine Stellungnahme zu den Fällen angekündigt.

Die Laienorganisation Wir sind Kirche appellierte an die Bischofskonferenz, die Leitlinien zum sexuellen Missbrauch grundlegend zu überarbeiten und konsequent anzuwenden. Die in den vergangenen Wochen zu Tage getretenen Fälle hätten in erschreckender Weise deutlich gemacht, dass die Leitlinien große Lücken aufwiesen. Die Organisation kündigte zudem für Montag eine Mahnwache vor dem Eröffnungsgottesdienst der Vollversammlung am Freiburger Münster an.

Der Hamburger Erzbischof Werner Thissen stellte derweil Reformen der Aus- und Fortbildung der Priester in Aussicht. Der Umgang der Geistlichen mit ihrer Sexualität müsse noch intensiver als bisher zur Sprache kommen, sagte er der Frankfurter Rundschau. Er sei "jedem dankbar", der sich offenbare. Thissen räumte "in unseren Reihen sexuellen Missbrauch in einem erschreckenden Maße" ein, "das wir nicht für möglich gehalten hätten". Die Kirche könne jetzt mit aktiver Aufklärung eine Vorreiterrolle einnehmen.

Jesuitenorden in den USA meldet Insolvenz an

Einem Focus-Bericht zufolge hat der Berliner Rechtsanwalt Lukas Kawka in den vergangenen Tagen geprüft, ob unter den ehemaligen Schülern, die am Canisius-Kolleg in Berlin und an anderen katholischen Schulen sexuell missbraucht wurden, auch amerikanische Staatsbürger sind. "Dies hätte eventuell eine Klage in den USA ermöglicht, wo wesentlich höhere Schmerzensgelder zugesprochen werden", sagte Kawka dem Nachrichtenmagazin. Da der Orden nun "Chapter 11" beantragt habe, eine nach angelsächsischem Recht mögliche Form des Insolvenzantrags, sei eine Klage in den USA aber aussichtslos.

Amerikanische Gerichte gestehen Missbrauchsopfern immer wieder hohe Schmerzensgelder zu. Mehr als zwei Milliarden Euro hat die katholische Kirche dort laut Focus bereits an Opfer überweisen müssen. Allein die katholische Erzdiözese Los Angeles wurde auf Zahlung von etwa 480 Millionen Euro verurteilt.

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4 Kommentare

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  • H
    Helen

    In Ergänzung zum Leserbrief von Werner weitere sprachliche Klarstellungen:

     

    Warum sagt die taz: "Deutsche Bischofskonferenz"? Sachlich ist das völlig falsch.

     

    "Deutsch?" Die dort drin Sitzenden wurdem vom Vatikanstaat in ihre Ämter eingesetzt, ohne Beteiligung von Deutschland, ohne Beteiligung von Deutschen (vielleicht mit Ausnahme vom Ratzinger Sepp), insbesondere ohne irgendeine demokratische Wahl. Deutsch ist hier allenfalls die Bezahlung dieser sog. Bischöfe aus Steuermitteln, genauer: bei sog. Bischöfen aus der allgemeinen staatlichen Steuer, nicht aus der 1933 eingeführten nur Mitglieder sog. Kirchen betreffenden sog. Kirchensteuer.

     

    "Bischöfe" sind "Aufseher". Das Wort geht auf die griechischen Begriffe "epi" und "scopein" zurück, was "hin" oder "drauf" und "schauen" oder "sehen" bedeutet.

     

    "Katholisch" ist die griechische Entsprechung zum lateinischen Wort "totalitär".

     

    "Kirche" stammt von den griechischen Wörtern "kyrios" ("Herr") und "oikos" ("Haus") ab.

     

    Das, wovon die taz hier redet, ist also die "Konferenz vatikanischer Aufseher eines totalitären Herrenhauses"!

     

    "Aufseher" sind hier also dringend geboten, aber keine "totalitären", sondern Juristinnen und Juristen nebst Laienrichterinnen und Laienrichtern eines demokratisch legitimierten Staates, dazu eine kritische Öffentlichkeit und Presse.

  • HM
    H. Martin

    Ein runder Tisch ist eine gute Idee. Dann können Opfer und Täter mal so richtig nett plauschen. Hoffentlich gibt es Kaffee und Kuchen. Das sollte man prinzipiell machen: Vergewaltigung im Park? Runder Tisch! Rockerbanden prügeln sich? Runder Tisch! Mafia erpresst Schutzgelder? Runder Tisch! Schon jetzt ist sicher, daß damit die Kirchen sich bei so einem Event wunderbar darstellen können, haben sie doch staatlich hochbezahlte Medienprofis an der Spitze.

  • W
    werner

    Terminologische Berichtigung:

     

    Dieser Artikel spricht von der Kultgemeinschaft "RÖMISCH-katholische Kirche".

     

    Im krassen Unterschied dazu hat die Kultgemeinschaft "Altkatholische Kirche" keine (gehäuften) Probleme mit Kinderschändern, weil sie kein Zölibat hat, das gezielt sexuell dubios Veranlagte als Priester auswählt und auf Kinder loslässt.

     

    Bei aller grundsätzlich berechtigten Religionskritik sollten nicht Kultgemeinschaften implizit beleidigt werden, die mit diesen RÖMISCH-katholischen Skandalen gar nichts zu tun haben. Das gebietet die journalistische Sorgfaltspflicht.

  • R
    Ralph

    Vorweg, auf keinen Fall sollen jetzt alle Katholiken an den Pranger gestellt werden. Aber an die eigentlichen Ursachen muß man schon ran. An die extrem hierarchische Struktur in der katholischen Kirche, in der alte, verknöcherte und völlig weltfremde Päpste oder Bischöfe (Mixa, Meissner, Ratzinger u.a.) weitestgehend Narrenfreiheit genießen. An die völlig überholten Rituale und Formen des Zusammenlebens (Klöster, Zölibat), welche wesentlich für die Verbrechen ursächlich sind. Nun muß die große und absolut überwiegende Mehrheit der vollkommen integeren Katholiken das selber in die Hand nehmen. Ein wirklich offener Diskurs über das Selbstverständnis der katholischen Kirche muß von den Katholiken angestoßen werden, jetzt und nicht irgendwann!