Die Linkspartei und Afghanistan: Braver Eklat im Bundestag

Die Fraktion der Linkspartei erinnert mit Plakaten an zivile Opfer des Krieges in Afghanistan, provoziert so ihren Rausschmiss – und sät Streit innerhalb der Fraktion der Grünen.

Seltener Anblick: Plakate im Bundestag. Bild: ap

BERLIN taz | Für einige Sekunden scheint sich die Luft im Bundestag zu verdicken. Niemand spricht. Lässt jetzt Bundestagspräsident Norbert Lammert die gesamte Linksfraktion von den befrackten Saaldienern hinausschleifen? Werden sich die Linken schreiend an ihre Sessel klammern?

Und dann erheben sich die ersten Abgeordneten der Linken; die parlamentarische Geschäftsführerin Dagmar Enkelmann, wie immer in Rot, als Erste. Der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke wirft die Hände hoch - er hätte seine Rede wohl gern noch gehalten. Doch die Fraktion verlässt geschlossen den Saal - nachdem Lammert einen Großteil des Saales verwiesen hatte.

In der Debatte über das Afghanistanmandat am Freitag waren die Abgeordneten der Linksfraktion nach dem Redebeitrag ihrer friedenspolitischen Sprecherin Christine Buchholz aufgestanden. Die meisten hielten Transparente mit den Namen der Todesopfer des Luftangriffs von Kundus hoch.

Enkelmann, sagte Lammert später, hatte erst im März 2009 im Ältestenrat zugestimmt, dass Demonstrationen im Bundestag ein krasser Verstoß gegen die Regeln des Hohen Hauses seien und so auch geahndet werden sollten. Damals hatten die Linken vor dem Nato-Gipfel "No-Nato"-Tafeln hochgehalten, aber zugesagt, das werde nicht mehr passieren. "Der Fraktion war diese Verabredung nicht unbekannt", hieß es am Freitag aus der Linken. Sie hatte also damit rechnen können, dass Lammert sie zum Gehen auffordern würde.

An Rauswurf angeblich nicht gedacht

Buchholz behauptete jedoch: "Ich habe mir über einen möglichen Rauswurf gar keinen Kopf gemacht." Als die Fraktion sich vor dem Plenarsaal sammelte, habe man auch noch nicht gehofft, an der Abstimmung zum Mandat wieder teilnehmen zu dürfen - "wir dachten, ,das wars dann wohl'", sagte Buchholz der taz. Ihr Anliegen sei gewesen, die Debatte zu Afghanistan "nicht zu einer Routineveranstaltung zu machen". Buchholz war Anfang des Monats in Afghanistan gewesen und hatte dort mit Opfern des von der Bundeswehr befohlenen Bombardements gesprochen. Ihre Erschütterung klang auch in ihrer Rede noch durch.

taz.de dokumentiert einen Auszug der wegen des Rauswurfs nicht gehaltenen Rede des außenpolitischen Sprechers der Linke-Fraktion, Wolfgang Gehrcke:

"Schluss mit dem Krieg in Afghanistan! Das Töten und Morden, der Krieg muss endlich aufhören! Die Menschen in Afghanistan müssen endlich eine Chance erhalten, ihren eigenen Weg zu gehen. Das heißt, Selbstbestimmung ist eine Voraussetzung für Frieden. Das wollen wir unterstützen. Schluss mit dem Töten und Morden. Selbst- statt Fremdbestimmung - alles andere ist nicht wichtig."

[…]

"Der Antrag der Bundesregierung, mehr Soldaten zu entsenden, ist kein Schritt zum Frieden. Mehr Soldaten bedeuten mehr Widerstand, stärken in Afghanistan das Gefühl, dass das Land besetzt ist. Die Eskalation des Krieges geht in die nächste Runde."

Doch wurden die Linken zur Abstimmung wieder hineingerufen. Eine Zweidrittelentscheidung des Restparlaments machte es möglich, dass sie ihr Nein in die Urnen werfen konnten. Mit 429 zu 111 Stimmen bei 46 Enthaltungen war damit der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan um weitere 12 Monate verlängert. Statt 4.500 sollen nun 5.350 deutsche Soldaten an den Hindukusch. Dort sollen künftig nicht mehr nur 280, sondern 1.400 von ihnen an der Ausbildung der Afghanischen Nationalarmee teilnehmen. Der Aufbau der afghanischen Sicherheitskräfte - Armee und Polizei - bis 2015 hat nun auch für die Bundesregierung Priorität.

Der FDP-Verteidigungspolitiker Rainer Stinner betonte: "Erstmals gibt es einen Weg zu einem realistischen Abzugsszenario." In der Tat formuliert das Mandat deutlicher, als es dem Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) lieb ist, dass schon 2011 mit dem Abzug der deutschen Truppen begonnen werden kann.

Gerade weil dieser Entschluss jedoch weniger der Analyse der Lage vor Ort als vielmehr dem Schwinden der Zustimmung des Wahlvolks geschuldet ist, ist den Grünen mit dem neuen Mandat unbehaglicher denn je. Fraktionschefin Renate Künast hatte am Freitag die undankbare Aufgabe, direkt nach dem Eklat reden zu müssen. "Es hätte mir bedeutend besser gefallen, wenn wir nicht in dieser Situation gelandet wären", sagte sie und schaute kurz zu Lammert hoch. "Ich traue auch der Fraktion der Linken zu, mit ihrer Entscheidung zu ringen."

Streit bei den Grünen

Auch die Grünen stimmten nicht einheitlich: achtmal Ja, 21-mal Nein und 35 Enthaltungen. Künast begründete dies wie folgt: Die Unfähigkeit der Bundesregierung, den Auftrag zum zivilen Aufbau mit konkreten Plänen zu füllen, mache es den Grünen "sehr schwer, mit Ja zu stimmen".

Es war der Grünenpolitiker Christian Ströbele, der dann aufsprang und seiner Fraktionschefin die Show nachträglich stahl - und Partei für die Linke ergriff. "Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht", setzte er an, "aber ich fühle mich hier und heute und jetzt mehr und mehr unwohl." Die Linksfraktion habe nicht randaliert. "Was denken die Afghanen, wenn sie hören, dass Abgeordnete aus dem Saal geworfen werden, weil sie Schilder mit Namen der Opfer eines von Deutschen befohlenen Angriffs hochhalten?", fragte Ströbele rhetorisch. Eine weitere Debatte halte er für "unwürdig".

Künast war die Wut über Ströbeles Parteinahme deutlich anzusehen. Später vor dem Plenarsaal kündigte sie ihm vor Journalisten Ärger an: "Das wird eine Debatte geben", schnaubte sie. Ströbele verwies darauf, dass auch die Grünen früher mit "begrenzten Regelverletzungen" gearbeitet hätten. "So was könnten wir mal wieder machen", ergänzte er scherzhaft.

Keinen Antrag gestellt

Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, stöhnte bloß auf: "Wir haben doch auch irgendwann eingesehen, dass es so nicht geht. Das ist doch auch nicht die erste Legislaturperiode der Linken." Er selbst habe schon einmal ein T-Shirt hochgehalten. Und zur Revolution in Orange Ende 2004 in der Ukraine hätten die Grünen Orangen auf ihre Tische gelegt. "Aber das geht nur nach Absprache mit dem Präsidium", sagte Beck der taz. Die Aktion der Linken empfinde er als "gegen den parlamentarischen Betrieb gerichtet".

Die Linke-Vizefraktionschefin Gesine Lötzsch sagte: "Unsere Aktion war ein Akt des Gedenkens an die Opfer" - wie die Linksfraktion sie bereits im Bundestag gefordert hatte. Doch hätten sie wirklich einen Trauerakt gewollt, sagte dazu der Grüne Beck, "hätten sie das ja im Ältestenrat vorschlagen können". Dies aber habe die Linke versäumt.

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