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Archiv-Artikel

nebensachen aus kingston Palmen und Landschaften – die etwas andere Maniküre

Lucie zeigt ihre Krallen. Und was für welche. Bestimmt vier Zentimeter lang, beginnen sie sich bereits kurz hinter den Fingerkuppen leicht zu krümmen, Tigerkrallen ähnlich. Auf dem aus dem Fingern natürlich herausgewachsenen Horn ist eine Miniaturpalme gemalt. Die Palmwedel sind fein ziseliert zu erkennen. Ein kleines Kunstwerk auf der Fläche von vielleicht drei Quadratzentimetern, umrahmt in den Landesfarben Grün, Schwarz und Gelb. „Welcome to Jamaica“, lächelt Lucie den Besucher auf dem Flughafen von Montego Bay an, der fasziniert nur einen Blick für die künstlerisch verzierten Krallen der Angestellten der Einwanderungsbehörde hat.

Die Schwierigkeiten beginnen mit dem bürokratischen Prozedere, dem sich jeder Besucher der Reggae-Insel unterwerfen muss – für Lucie. Die Angestellte der Einwanderungsbehörde mit den Tigerkrallen kämpft mit der Computertastatur, mit den technischen Bedingungen. Ein nagellanger Kampf. Ein „D“, klack, ein „i“, klack, zweimal „l“, klack, klack.

Ein unbequemer Kampf für die Migrationsoffizierin zumal, denn die Designer haben bei ihrem Anordnungsentwurf für die Tastatur Lucies Krallen nicht eingeplant. Zweimal liegen ihre Zielversuche aufgrund der Fingernagelunzulänglichkeiten daneben. Nur mit den Fingerseiten schafft Lucie, auf der Computertastatur herumzuhacken und den Namen des Inselbesuchers zu beenden – in Slow Motion: „m“, klack, „a“, klack, „n, n“, klack, klack.

Jamaikanische Frauen lieben es, sich mit kunstvoll bemalten „Krallen“ zu schmücken. Je länger, umso auffälliger – ein zusätzlicher Blickfang. Deshalb herrscht freitags vorm großen Wochenendabtanz in den Nagelstudios an der Ecke Hochbetrieb: Es riecht nach Azeton und Nagellack, um die richtige Grundlage für die Miniaturkunst zu schaffen. Es surren Minischleifer und Minibohrer, um skurrile Ornamente in die zum Teil auch aufgeklebten Nägel zu fräsen oder kleine Löcher für winzige Ringe zu bohren. Selbst in den ärmsten Vierteln von Kingston oder Montego Bay bieten Nailpainters ihren Nachbarinnen ihr kunstvolles Miniaturhandwerk an.

Je ausgefallener, desto besser – da nimmt frau auch schon mal eine Extraausgabe in Kauf. Mit feinen Haarpinseln zaubern die Nailpaint-Artisten Palmen, Regenbogen oder andere Miniaturgemälde auf die Krallen. Besonders in sind eingefräste Figuren oder Landschaften, die allein von den Höhen und Tiefen des Reliefs leben. Und wahrhaft hip ist, wer sich auch noch die Fußnägel künstlich verlängern und verzieren lässt. Zum Glück ist es in Jamaika ganzjährig so warm, dass frau in Sandalen rumlaufen kann.

Natürlich müssen nicht alle Fingernägel so lang sein, um sie mit einem Nailpainting verschönern zu können. Auch auf normaler Länge lässt sich vieles unterbringen. Sei es nun aus einem speziellem Anlass wie einer Hochzeit, dem ersten Date oder um sich einfach einmal etwas Schönes zu gönnen. Ein Nailpainting zieht immer bewundernde Blicke auf sich und macht die Trägerin interessant. Die Varianten und Spielarten sind beinahe unbeschränkt. Hat doch jeder Mensch zehn Finger – und falls das nicht reicht, auch noch zehn Zehen. HANS-ULRICH DILLMANN