Umgang mit Missbrauchsfällen: Der Vatikan ist schwer erschüttert
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz hat dem Papst über Missbrauchsfälle berichtet. Missbrauch sei aber "nicht nur ein Problem der katholischen Kirche".
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, ist am Freitag mit Papst Benedikt XVI. zusammengekommen, um über die bekannt gewordenen Missbrauchsfälle zu berichten. Zollitsch sagte nach dem Treffen, er habe den Heiligen Vater über die Fälle "pädagogisch übergriffigen Handelns und sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen in der katholischen Kirche Deutschlands" informiert.
Tief bestürzt und betroffen habe sich der Papst über die Fälle gezeigt, erklärte Zollitsch vor Journalisten und sagte weiter, dass Benedikt XVI. das entschiedene Handeln der Deutschen Bischofskonferenz unterstützte. "Wir stellen uns unserer Verantwortung und können keinen der geschehenen Fälle entschuldigen", erklärte Zollitsch. Die katholische Kirche wolle "die Wahrheit aufdecken und eine ehrliche Aufklärung, frei von falscher Rücksichtnahme". Die Opfer hätten ein Recht darauf.
"Papst Benedikt XVI. hat ausdrücklich unseren Maßnahmenplan gewürdigt", sagte Zollitsch. Zudem habe er die Glaubenskongregation über die von der Deutschen Bischofskonferenz eingeleiteten Schritte informiert. Der Vatikan prüfe nun, ob er selbst universelle Normen für den Umgang mit solchen Fällen aufstellen solle, berichtete Zollitsch.
Zollitsch erklärte allerdings auch, dass der Missbrauch "nicht nur ein Problem der katholischen Kirche" sei. Kurienkardinal Walter Kasper formulierte schon ein Stück offensiver und unterstrich am Freitag im ZDF, dass die katholische Kirche sich "Regeln" für den Umgang mit dem Problem gegeben habe, "andere" dagegen bisher nicht.
Der jahrzehntelang gewachsenen kirchlichen Realität entspricht die Selbstdarstellung eines im Kampf gegen Missbrauchsfälle überaus engagierten Klerus kaum. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte den höchst vorsichtigen Umgang der Kirche mit Anzeigen - die Täter sollen bloß zur Selbstanzeige ermuntert werden - bereits scharf kritisiert.
Eine schärfere Linie beim Thema Missbrauch würde im Vatikan selbst eine radikale Wende darstellen. Wie bisher der Umgang mit dem Thema Pädophilie war, zeigte die populäre italienische Fernsehsendung "Le Iene" erst am Mittwoch. Im vergangenen Jahr hatte einer der Mitarbeiter der Sendung in Rom an einer Tagung der Apostolischen Bußpriester teilgenommen, die für die kircheninterne Verfolgung auch von Sexualdelikten zuständig sind. Auf die Frage, ob ein Priester nach pädophilen Übergriffen bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen sei, antwortete Don Pedro Fernandez, Bußpriester an der Papstbasilika Santa Maria Maggiore, mit einem entschiedenen "No, no, no, no, no!". Schon Paulus habe in seinen Briefen dargelegt, dass solche Probleme "kirchenintern" zu bereinigen seien, keineswegs aber per Staatsanwaltschaft.
Doch in Deutschland verstärkt sich der Druck auf Zollitsch und die Bischofskonferenz. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse forderte Papst Benedikt auf, sich gegenüber den Opfern zu entschuldigen. "Ich denke, es wäre angemessen, wenn der Papst für die Übeltäter in katholischen Einrichtungen in Deutschland ein öffentliches Wort des Bedauerns und der Bitte um Entschuldigung ausspricht", erklärte Thierse am Freitag.
Und der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) sprach von "schwerer moralischer Schuld" nicht nur der Täter, sondern auch derer in der Kirche, "die über lange Zeit weggeschaut haben und Praktiken in ihrem Umfeld geduldet oder systematisch verschleiert haben". Und in der Kirche selbst beginnt, wenn auch mehr als vorsichtig, das Nachdenken über die Ursachen. Hamburgs Weihbischof Hans-Jochen Jaschke sagte am Freitag im Deutschlandfunk, die zölibatäre Lebensform könne "Menschen anziehen, die eine krankhafte Sexualität haben".
Am gleichen Tag wurde bekannt, dass sich bei den Wiener Sängerknaben, die allerdings nicht der katholischen Kirche untergeordnet sind, sondern als Verein organisiert sind, Fälle von sexuellem Missbrauch ereignet haben. Zwei ehemalige Mitglieder erklärten, sie seien in den 60er- und den 80er-Jahren Opfer sexueller Übergriffe geworden und hätten auch Misshandlungen von Mitschülern beobachtet.
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