: Koalition setzt auf Futtern bei Muttern
Weniger Förderchancen für junge Jobsuchende, stattdessen „Sofortangebote“ für Antragsteller auf Arbeitslosengeld II: Die Arbeitsmarktpolitik der großen Koalition soll jedes Jahr Milliarden sparen – das hat Nebenwirkungen
BERLIN taz ■ Mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen ist laut Koalitionsvertrag von Union und SPD die „zentrale Verpflichtung“ der künftigen schwarz-roten Regierungspolitik. Doch nicht nur die unmittelbaren Einsparungen, auch die Langzeitwirkungen der geplanten Neuerungen von Schwarz-Rot stellen dieses Ziel in Frage.
3,8 Milliarden Euro jährlich wollen Union und SPD bei den Empfängern von Arbeitslosengeld II (ALG II) einsparen, 3 Milliarden Euro sollen schon im nächsten Jahr durch Kürzungen hereinkommen. Den größten Posten von 2 Milliarden Euro bilden dabei Kürzungen bei den Rentenbeiträgen für Langzeiterwerbslose. Diese Einsparung ist zwar ein sicherer Posten für den Hartz-IV-Haushalt, senkt aber die künftigen Rentenansprüche der Betroffenen empfindlich.
Für Empfänger von Arbeitslosengeld II, die jünger als 25 Jahre sind, soll zudem wieder der Unterhaltsrückgriff auf die Eltern eingeführt werden. Ob dadurch tatsächlich 500 Millionen Euro hereinkommen, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, ist allerdings unklar.
Orientiert sich der Unterhaltsrückgriff an den geltenden Regelungen in der Sozialhilfe, stünde einem erwerbstätigen Elternpaar ein Selbstbehalt von etwa rund 2.200 Euro am bereinigten Nettoeinkommen zu, wenn der erwachsene Nachwuchs nicht mehr zu Hause wohnt. Nur das Elterneinkommen, das darüber liegt, müsste auf das Arbeitslosengeld II des Sprösslings angerechnet werden.
Wohnen die jungen Erwachsenen noch zu Hause, wird es enger. Künftig sollen unverheiratete, volljährige, unter 25-jährige Kinder, die keinen Job haben und noch zu Hause leben, „in die Bedarfsgemeinschaft der Eltern“ einbezogen werden. Dies würde bedeuten, dass die Eltern schon bei einem sehr geringen Erwerbseinkommen zum Unterhalt herangezogen würden.
Damit die jungen Erwachsenen nicht auf die Idee kommen, sich eine eigene Wohnung zu suchen, um doch Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu haben, soll künftig der Auszug aus dem Elternhaus nur noch mit Zustimmung der Jobagentur möglich sein und nur in Ausnahmefällen genehmigt werden. Dies bringt laut Koalitionsvertrag noch mal 100 Millionen Euro.
Die Nebenwirkungen dieser Maßnahme für die jungen Erwachsenen allein könnten aber erheblich sein: Viele arbeitslose junge Leute, die noch bei Muttern leben, melden sich dann künftig möglicherweise erst gar nicht mehr in der Jobagentur, weil sie den Rückgriff auf die Eltern fürchten. Sie lassen sich stattdessen zu Hause durchfüttern. Doch damit kommen die jungen Arbeitslosen auch nicht in den Genuss von Fördermaßnahmen.
„Spätestens, wenn sie 25 Jahre alt sind, treten sie dann aber wieder bei den Arbeitsagenturen auf den Plan“, befürchtet Markus Kurth, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, „und dann wurden wichtige Jahre verschenkt, die Leute in eine Fördermaßnahme zu bringen.“
Allein 1,2 Milliarden Euro sollen laut Koalitionsvertrag durch die Reform der „Verwaltungsabläufe und Organisationsstruktur“ von Hartz IV „verbessert“ werden. „Diese vermeintlichen Effizienzgewinne wurden auch der rot-grünen Regierung vom Bundeswirtschaftsministerium immer versprochen“, sagt Kurth, „aber sie sind nie eingetreten.“
Dass die „Effizienzgewinne“ möglicherweise künftig vor allem in „verstärkter Abschreckung“ der Erwerbslosen bestehen, befürchtet Harald Thomé vom Wuppertaler Selbsthilfeverein Tacheles. Erstantragssteller auf das Arbeitslosengeld II sollen laut Koalitionsvertrag nach Prüfung der individuellen Situation „Sofortangebote“ von der Jobagentur bekommen, auch um die „Arbeitswilligkeit“ zu „überprüfen“. Wie diese „Sofortangebote“ aussehen sollen, bleibt unklar.
Städte wie Köln und Leipzig haben in der Vergangenheit die Zahl der Erstantragssteller auf Sozialhilfe drastisch senken können, indem sie jedem Antragsteller sofort eine Beschäftigungsmaßnahme zuwiesen, darunter viele „Stiefeljobs“ in Grünflächenanlagen.
Zu Beginn des kommenden Jahres ist jedenfalls erst einmal mit einer freiwilligen Kündigungswelle auf dem Jobmarkt zu rechnen: Nur bis Januar 2006 nämlich kommen ältere Erwerbslose noch in den Genuss der maximalen Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I für 32 Monate.
Seit Oktober dieses Jahres gelten zudem neue, höhere Hinzuverdienstgrenzen für die Bezieher von Arbeitslosengeld II. Auch das könnte die Kosten für die Leistungen zusätzlich in die Höhe treiben.
BARBARA DRIBBUSCH