Polizeiruf 110: "Die Lücke, die der Teufel lässt": Trümmer ehemaliger Wohlstandsträume
Der "Polizeiruf: Die Lücke die der Teufel lässt" ist im doppelten Sinne ein Requiem geworden: auf den bajuwarischen Kommissarsdarsteller Jörg Hube – und auf den deutschen Mittelstand. So 20.15 Uhr, ARD.
Um den Hals trägt sie eine Zeitbombe, in den Armen einen Eisenkoffer mit zwei Millionen Euro drin: Eine Pizzabotin wurde von Kriminellen gezwungen, eine Bank zu überfallen. Doch die Zeit ist noch nicht abgelaufen, da fliegt ihr Lieferauto in die Luft – und mit ihr der zum Verbrechensort geeilte Kommissar Friedl Pape.
Ein paar Monate vor dem Dreh dieses Münchner "Polizeirufs" starb Darsteller Jörg Hube, hier ist er nun noch über einen Kurzauftritt eines Double präsent. Das erst im vergangenen Jahr neu aufgestellte Kripo-Duo Hube und Stefanie Stappenbeck ist damit schon Geschichte. In dieser und einer weiteren Episode im Mai ist Stappenbeck nun quasi als Ermittlungswaise alleine im Einsatz. Traurig, die von ihr verkörperte Uli Steiger und Kollege Friedl Pape wären nämlich ein prima Gespann gewesen, an dem sich gesellschaftspolitische Themen auf ganz unterschiedliche Weise hätten spiegeln lassen: Hier der idealistische Alt-Achtundsechziger, dort die pragmatische Ex-Bundeswehroffizierin.
Ein rotes Gegenstück immerhin wird ihr auch in dem Trauer-Krimi "Die Lücke, die der Teufel lässt" (Buch: Dirk Kämper, Regie und Buch: Lars Montag) zur Seite gestellt. Es ist der Hartz-IV-Empfänger und Wohnwagenkommunist Georg Pranger (Franz Xaver Kroetz), der seine rollende rostige Behausung samt einer Bibliothek mit "Hegel, Kant, Marx und ein paar Pornos" ausgerechnet in einer schicken Eigenheimsiedlung am Rande von München geparkt hat. Hierher führt Ermittlerin Steiger die Spur des Mordanschlags, und im linken Zausel findet sie einen Tröster und Verbündeten.
Wirkt Pranger am Anfang noch wie ein Fremdkörper zwischen den Eigenheimspießern, so erhält er am Ende von denen doch Zuspruch. Kein Wunder, ein Finanzinvestor hat die Kredite der Häuslebauer bei der Bank aufgekauft und melkt die Menschen nun. Wie sagt der Geschäftsführer der Maklerfirma (Jan-Henrik Stahlberg, "Muxmäuschenstill") doch gleich: "Wir nutzen das Gesetz mit maximaler Performance". De facto heißt das: Überall drohen Zwangsräumungen, überall stehen gespenstische, verwahrloste Mittelstandsschlösschen herum. Und wo der Kapitalismus seine böseste Fratze zeigt, da sehnt eben selbst die bürgerliche Klientel den Sozialismus herbei.
Der Krimi-Plot mag etwas zu kurz kommen bei diesem Wirtschaftstrauerspiel, dafür werden hier die Trümmer ehemaliger Wohlstandsträume stimmungsvoll ausgeleuchtet. So ist dieser "Polizeiruf" gleich im doppelten Sinne ein Requiem geworden: auf den bajuwarischen Kommissarsdarsteller Jörg Hube – und auf den deutschen Mittelstand.
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