Hertha bleibt in Abstiegsgefahr: Der stete Krampf im Klassenkampf

Bei der 0:1-Niederlage gegen Stuttgart lassen die Berliner ein fatales Verhaltensmuster erkennen: Immer wenn der Klassenerhalt in Reichweite gerät, spielen sie seltsam gehemmt.

Die Leistung der Hertha-Spieler scheint selbst dem Maskottchen die Tränen in die Augen zu treiben. Bild: dpa

Anhaltspunkte hätte es für den Berliner Pal Dardai genug gegeben, um nach dem Spiel in das übliche Lamento eines designierten Absteigers zu verfallen. Das Pech, der Schiedsrichter, wieder ein Verletzter. Man kennt ja die Inhalte dieser Klagelieder.

Die 0:1-Niederlage gegen den VfB Stuttgart enthielt in der Tat derlei Bitterkeiten. In der 74. Minute etwa fand der von Cacau getretene Ball nur deshalb den Weg ins Tor, weil Hertha-Verteidiger Steve von Bergen das Leder unglücklich abgefälscht hatte. Zudem pfiff der Unparteiische Michael Weiner zu Unrecht den frei vor dem Kasten auftauchenden Theofanis Gekas wegen vermeintlicher Abseitsstellung zurück und versagte später den Berlinern einen Elfmeter, weil er das Handspiel von Serdar Tasci übersah.

Eine besonders tragische Note hatte der Auftritt von Florian Kringe. Nur 25 Sekunden nach seiner Einwechslung brach bei einem von ihm schön initiierten Angriff seine alte Fußverletzung auf. Er musste prompt wieder ausgewechselt werden.

Doch Pal Dardai ging hernach gar nicht auf all diese Böswilligkeiten des Schicksals ein. Sein Thema waren die eigenen Versäumnisse. "Heute war nicht so der Dampf da, die Tore zu machen, wie in den letzten Spielen", sagte er. Warum? "Das ist nur Kopfsache", erklärte er. Zuletzt habe man nichts mehr zu verlieren gehabt und deshalb befreit aufgespielt. Umgekehrt gesprochen: Die Hertha verkrampft, sobald das Ziel Klassenerhalt in realistische Reichweite rückt. Wie der hungernde Tantalos sich laut griechischem Mythos stets vergeblich nach dem Ast mit den Früchten reckte, weil der Wind diesen im entscheidenden Moment emporhob, so scheint auch die Hertha von der Qual geplagt zu sein, in Zielnähe nicht zupacken zu können.

Mal wieder sind die Berliner am Boden. Der möglicherweise rettende 16. Platz liegt mit fünf Punkten Rückstand erneut in weiter Ferne. Für Trainer Friedhelm Funkel einen Grund zum Optimismus: "Wir sind es ja gewohnt, nach solchen Dingen wieder aufzustehen." Die Frage ist nur, wie Hertha aus diesem fatalen Bewegungsmuster herauskommen möchte?

Am Samstag kam erschwerend hinzu, dass man das derzeit wahrscheinlich organisierteste Bundesligateam zum Gegner hatte. Im Spiel gegen den Ball unterlaufen den Schwaben so gut wie keine Fehler. Innenverteidiger Matthieu Delpierre glänzte gar mit einem Wert von 100 Prozent gewonnener Zweikämpfe. Weil auch Hertha in der Defensive gut stand, entwickelte sich ein chancenarmes Spiel, das nicht dazu angetan war, das nur in begrenzter Zahl zugelassene Publikum aus der Reserve zu locken. Die lautstarke Anhängerschaft aus der Ostkurve, so hatte es das DFB-Schiedsgericht entschieden, musste draußen bleiben, da etwa hundert von diesen nach der Partie gegen Nürnberg das Feld gestürmt hatten. Stellvertretend für die Verbannten orchestrierten die Verbliebenen zwar pflichtbewusst "Ha - Ho - He, Hertha-BSC"- Sprechchöre, aber das erinnerte eher an chinesische Parteifeste als an Bundesligaatmosphäre. "Die Fans aus der Ostkurve haben uns gefehlt", klagte Manager Michael Preetz.

Spannend wurde es an diesem Nachmittag erst, als mit dem Stuttgarter Cacau die starre Ordnung aufgehoben wurde. Trainer Christian Gross lobte: "Mit ihm kam mehr Schnelligkeit und Inspiration ins Spiel." Auch wenn sein Treffer glücklich war, machte Cacau den Unterschied aus. Es zeigte sich, dass eine Mannschaft nicht nur Ordnung einhalten können muss, sondern auch gelegentlich für Unordnung sorgen sollte. Genau damit haben die Berliner, insbesondere wenn sie unter Druck stehen, ein Problem. In den letzten sieben Heimspielen erzielte die Hertha nur zwei Tore. Da nutzt es wenig, dass man in der Rückrunde immer noch das Team mit den wenigsten Gegentreffern ist. Torwart Jaroslav Drobny fasste die Situation bündig zusammen: "The same shit, no goals."

Manager Preetz erklärte, man sei zwar enttäuscht, andererseits aber in der positiven Bewältigung solcher Situationen geübt. Die letzten vier Gegner heißen: Frankfurt, Schalke, Leverkusen und München. Hochmut kommt vor dem Fall, heißt es. Bei Hertha kommt danach jedenfalls regelmäßig der Mut der Verzweiflung.

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