Debatte Homophobie im Reggae: Rache der Erniedrigten

Der Schwulenhass jamaikanischer Reggae-Stars ist keine Folklore. Mit Einreise- und Auftrittsverboten wird man dem Problem aber nicht gerecht.

Flipflop-Paradies mit Pferdefuß: Anti-Imperialismus und Homophobie stehen hier in keinem Widerspruch zueinander. Bild: meindelo/photocase.com

Gibt es den dritten Weg? Einen Kompromiss zwischen dem Relativismus des Reggae-Sängers Gentleman, derzeit Nummer Eins der deutschen Charts, der Homophobie als zwar unappetitlichen, aber elementaren Bestandteil der jamaikanischen Kultur bezeichnet - und dem autoritären Universalismus von Volker Beck, der homophobe Reggaestars mit Einreise- und Auftrittsverboten mundtot machen will?

Vielleicht helfen Binsenweisheiten weiter: Dass Homophobie kein Privileg von Rasta-Fundamentalisten ist. Daran erinnerte jüngst der Kardinalssekretär des Vatikans, Tarcisio Bertone, als er Pädophilie auf Homosexualität zurück führte. Auch weiße Rocker hassen Schwule: Guns'N'Roses-Sänger Axl Rose sang einst von "Immigrants and Faggots", die angeblich Seuchen verbreiten würden. Niemand forderte Einreiseverbote für Bertone oder Axl Rose, denn beide sprechen für mächtige Glaubensgemeinschaften: Katholiken und Rocker.

Beim Konflikt Gentleman versus Volker Beck geht es nicht nur um Fragen von Hautfarbe, Religion und Geschlecht, sondern auch um Klassenfragen. Gentleman hat Recht, wenn er den Schwulenhass in Jamaika als Produkt einer religiösen Kultur bezeichnet. Die Bibel gibt's her: "Wenn zwei Männer sich lieben muß man sie töten." (Levitica) Allerdings braucht religiöser Wahn immer einen gesellschaftlichen Nährboden.

Die jamaikanische Soziologin Carolyn Cooper sieht die Ursache des übersteigerten Machismo und der Homophobie in einer "diminished masculinity", einer "erniedrigten Männlichkeit". Sie entspringt einer Gesellschaft, die Männern aus den unteren Klassen das Gefühl der Minderwertigkeit und Nutzlosigkeit vermittelt: Sie haben keine Arbeit, sind überflüssig - was ihnen bleibt ist ihr Körper, ihr Schwanz. Sexuelle Potenz kompensiert ökonomische Schwäche. Sichtbarer Potenz-Nachweis sind Kinder - möglichst viele Kinder mit möglichst vielen Frauen, der heilige Bob Marley hat es ja vorgemacht.

20-jährige Mütter mit vier Kindern von vier verschiedenen Vätern sind auch in Deutschland keine Seltenheit. Und in den Hartz-IV-Distrikten dieser Republik gedeiht neben vaterlosen Kindern auch die sozialdarwinistische Variante von HipHop, getrieben von Machismo und Schwulenhass: Meine Herkunft, meine Religion. Meine Bibel, mein Koran. Auch hier wird gern die kulturalistische Karte gespielt, wenn Diskriminierungserfahrungen zum Alibi gewendet werden: wir lassen uns von den arroganten Germanen doch nicht unsere Kultur nehmen! Also passen Brüder auf Schwestern auf, werden Ehen arrangiert, Mädchen eingesperrt, Schwule gehasst. Wie, verschärft, in Jamaika der Fall, wo die Sklaverei die Mutter allen Elends ist. Um ihr Humankapital zu mehren, animierten weiße Sklavenhalter einst ihre schwarzen Sklaven dazu, immer mehr Kinder zu zeugen. Ein Mann, der keinen Nachwuchs produziert, gilt dort bis heute als Schwächling. Oder, noch schlimmer, als Schwuchtel.

"Einen Reggae-Text eins zu eins ins Deutsche zu übersetzen, das funktioniert nicht", da hat Gentleman recht. Klar, die orale Kultur kreiert stündlich neue Bedeutungen und Metaphern. Manche Texte aber sind eindeutig. "Faggots have to run or get a bullet in the head"; Schwule müssen rennen, sonst kriegen sie eine Kugel in den Kopf - diese Zeile stammt aus einem der größten Hits der Reggae-Geschichte. "Boom Bye Bye" dröhnte im Frühjahr 1992 aus allen Boxen der Freiluft-Dancehalls von Kingston. Ein unwiderstehliches Stück Musik, Nacht für Nacht von hysterischer Begeisterung und gerne auch Salutschüssen in den Sternenhimmel begleitet. Ich war dabei und kaufte mir "Boom Bye Bye", nicht ahnend, worum es da ging. Denn Buju Bantons Jamaican English verstehen nur Deutsche mit Reggaediplom.

Durch Zufall kam ich damals zu einem Interview mit Buju Banton, einem spindeldürrem Kerlchen mit der Stimme eines Grizzly Bärs, damals gerade achtzehn Jahre alt. Was ich damals zu verstehen glaubte: er kommt von ganz unten, kein Kommunikationstraining und kein Diplomatiekurs, aus ihm spricht der common sense seines Milieus. "Boom Bye Bye" wurde zum Präzendenzfall: Erstmals erfuhr die Welt von homophoben Motiven in der jamaikanischen Musik. Die Debatte von damals liefert die historische Blaupause für den Streit zwischen Gentleman und Volker Beck.

Damals interpretierte The Source, das Zentralorgan des HipHop - also einer Kultur, die massgeblich von Nachfahren afrikanischer Sklaven geprägt ist - den Banton-Konflikt mit antirassistischem Furor als Kampf der Kulturen. Nach dieser Lesart versuchte eine "mächtige Gay Lobby" (ein Echo der ewigen "jüdischen Lobby"?), den jahrhundertelang versklavten Jamaikanern ihr moralischen Maßstäbe zu diktieren. "In den Augen der Dancehall-Gemeinde wäre eine Entschuldigung Bujus bei der Gay-Lobby ein Akt des Verrats gewesen, eine Kapitulation vor der imperialistischen Macht, die dem grimmig-stolzen jamaikanischen Volk einen unwillkommenen Lebensstil aufzuzwingen versucht." Da haben wir den Salat: Homophobie als Ausdruck stolzen Anti-Imperialismus. Als ob sich die Dritte Welt gegen die erneute Unterjochung durch die Erste Welt durch metaphorisches Schwulenschlachten wehren würde.

Gut möglich, dass sich die Geschichte wiederholt und Volker Beck mit seinen Forderungen nach Einreise- und Auftrittsverboten genau das erreicht: auf der einen Seite erntet er Applaus aus der eigenen Klasse, auf der anderen Seite antiautoritären Trotz und Anti-Political-Correctness-Reflexe von unten. Auch die Dritte Welt in Neukölln und Marzahn will sich von der Ersten Welt in der rot-grünen Mitte das bisschen Schwulenbashing nicht verbieten lassen. Das gehört doch zu unserer Kultur!

Die Sache wird nicht leichter dadurch, dass Volker Beck einer Partei angehört, die für die Verarmung und Stigmatisierung ganzer gesellschaftlichen Schichten verantwortlich ist. Sie hat - nicht nur auf der symbolischen Ebene - zu einer unteren Randgruppe geführt, vor deren unappetitlicher Rache sich die gebildeten Stände nun zu fürchten beginnen.

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