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Archiv-Artikel

Ein Götterbote schenkt Milch aus

RAUCHEN, TANZEN, FÜHLEN In „Nugu-ui Ttal-do Anin Haewon“ („Nobody’s Daughter Haewon“) erzählt der koreanische Regisseur Hong Sangsoo die schön verträumte Geschichte einer jungen Frau zwischen den Zeiten und den Männern (Wettbewerb)

VON EKKEHARD KNÖRER

Auf der Straße begegnet Haewon, die Heldin des Films, Jane Birkin. Diese gibt ihr erst ein Autogramm, dann sogar ihre Telefonnummer in Paris. Haewon preist Charlotte Gainsbourg, Jane Birkins Tochter. Sie sind genauso hübsch, sagt Jane Birkin, die von Jane Birkin gespielt wird. Die beiden liegen sich in den Armen. Im Film allerdings ist diese Szene nicht mehr als ein Traum.

Haewon, trifft ihre Mutter, die sie fünf Jahre lang nicht gesehen hat. Die Mutter fliegt am Tag darauf nach Kanada, vielleicht für immer. Dort wird sie das Leben in vollen Zügen genießen und barfuß auf den Straßen tanzen. Gemeinsam machen Haewon, die Niemandstochter des Titels, und ihre Mutter einen Spaziergang durchs Viertel, in dem die Mutter einst zur Schule ging. Sie sitzen im Park, die Tochter rennt um eine Statue, die auch später noch mal ins Bild kommt. Haewon erzählt aus dem Off: Dies, sagt sie, ist das berühmte Motel. Die Kamera schwenkt nach oben, und da steht in koreanischer Schrift „Berühmtes Motel“. Die Mutter taucht nicht mehr auf.

Da ist ein junger Mann, der, wie so viele Männer in diesem Film, raucht. Ihm gehört der Laden im Viertel. In diesen Laden kehrt Haewon, mal allein und mal nicht, mehrfach zurück. Für die Bücher in den Kisten vor dem Geschäft kann man so viel zahlen, wie einem beliebt. Wie viel ich gebe, sagt Haewon, zeigt, wer ich bin. Der junge Mann raucht, stimmt ihr zu und lacht. Er taucht dann im weiteren Verlauf nicht mehr auf. Er wird durch andere Männer, man könnte sagen: ersetzt. Durch einen frisch geschiedenen Professor aus den Vereinigten Staaten, der Haewon vom Fleck weg heiraten will. So schnell geht das aber nicht. Und vor allem ist da der Filmregisseur Lee, bei dem Haewon auch studiert. Mit ihm hatte und hat sie ein Verhältnis.

Zwischen „hatte und hat“ spielt der Film. Dies und da sind seine Gesten. Haewon und die Männer bewegen sich durch wiederkehrende Orte, sie besuchen in unterschiedlichen Konstellationen ein über den Hügeln der Stadt liegendes Fort. Regisseur Lee spielt mehrfach dieselbe sentimentale Lieblingsmusik vom mitgebrachten Rekorder. Erst fühlt man mit dem Lied. Bald aber möchte man es das Lied vom Selbstmitleid nennen. Kalt ist es im März und April, die Luft frisch. Der Blick ist erhaben, die Worte sind groß, die ausgesprochenen Erkenntnisse sind wahr, wenngleich simpel. Die Gefühle sind nichts von alledem.

Wie man weiß, dreht Hong Sangsoo immer denselben Film. Aber er dreht ihn jedes Mal anders. Diesmal ist die Komik eher verhalten. Die Wiederholungsmomente haben weniger strukturelles Gewicht. Es geht um das Zwischenmenschliche und mehr um die Qualen, die es bereitet, als um das Glück. Regisseur Lee und Haewon können nicht mit und nicht ohne einander. Haewon will vielleicht weg und bleibt doch da. Ein freundlicher Götterbote im grünen Steppanorak schenkt Milch aus und hilft auch nicht wirklich weiter. Am Ende erwacht Haewon über Norbert Elias’ Buch „The Loneliness of Dying“ („Über die Einsamkeit der Sterbenden“). Das Leben ein Traum.

■ Heute, Friedrichstadt-Palast, 9.30 Uhr; HdBF, 10 Uhr; International, 22.30 Uhr