„Diese Liebe sitzt tief in mir drinnen“

STAR Die Sängerin Gitte Haenning über Deutsch als Fremdsprache, Demut, Sexismus und die Lust am Lied

■ Person: Geboren am 29. Juni 1954 in Aarhus, Dänemark. Mit ihrem Hit „Ich will ’nen Cowboy als Mann“ wurde sie 1963 zu einer der beliebtesten Interpretinnen des deutschsprachigen Schlagers (häufig im Duett mit Rex Gildo), konnte sich jedoch in den 1980er Jahren mit anspruchsvollen Texten aus der Feder des Librettisten Michael Kunze als gereifte Popsängerin etablieren („Ich will alles“). Ihr Repertoire umfasst außerdem Blues, Jazz, Musical und dänische Volkslieder.

■ Tour: Im Rahmen der „Was ihr wollt“-Tour ist Gitte Haenning am 19., 20. und 21. Juni im Berliner „Tipi“-Festzelt am Kanzleramt zu sehen.

GESPRÄCH INES POHL
UND GABY SOHL

Wir treffen uns im Café Einstein Unter den Linden in Berlin. In dem Café, in das Politiker und Journalisten gehen, um zu sehen und gesehen zu werden. Wir sind dort auf Gitte Haennings Vorschlag, weil sie den Einstein-Tafelspitz mit Kürbisöl liebt. Unser Warm-up ist so spontan herzlich, dass wir erst mal schwedische Lieder singen, bevor die Aufnahmegeräte angestellt werden. Einige Gäste blicken verwirrt, der Ober scheint froh, dass er uns in einem Eck platziert hat.

sonntaz: Frau Haenning, Sie sind seit über 50 Jahren auf deutschen Bühnen unterwegs, erinnern Sie sich noch an den ersten Eindruck, den Sie von Deutschland hatten?

Gitte Haenning: Exotisch! Ich war ja zuallererst ein Kinder- und dann ein Teenager-Star in Dänemark. Nach Deutschland kam ich, weil der Intendant vom NDR, Henry Reignier, hatte mich im dänischen Fernsehen gesehen und wollte dem deutschen Publikum zeigen, wie so ein dänischer Teenager-Star sich präsentiert. Man meinte allerdings, dass mein Outfit zu existenzialistisch war: diese lässigen Pullis und diese komischen Schuhe? Ob man mich nicht ein bisschen mehr „snieke“ machen dürfte?

Snieke?

Kostümchen und so. Kürzere Haare. Arrangements – ohne Jazz. Und vor allem gab es plötzlich einen sehr sympathischen und charmanten jungen Mann, der mich durch die Show begleiten würde. Und das war dann Rex Gildo.

Auf Deutsch zu singen, wie war das für Sie? Deutsch ist ja keine gute Singsprache, mit all diesen Konsonanten …

Ja, aber mit einem skandinavischen Akzent – das hat Deutschland geliebt! Ich brauchte kaum was zu machen, dann sagten schon alle „Ohh! Wie niedlich!“ Die Stimmungsmuse aber, die geht weg in der deutschen Sprache, der Jazz Appeal fehlt. Und Jazz? Das ist Sex! Jazz bedeutet: Hm, turn me on! Jazz me up! Make me sexy!

Warum waren Sängerinnen aus dem Norden so erfolgreich im Nachkriegsdeutschland?

Wir konnten ganz frisch aufspielen, völlig klar. Wir waren nicht verdächtig, irgendwelche Verbindungen zum braunen deutschen Schlagergut zu haben. Wir waren die heile Welt, die dann wieder erforderlich war nach so viel Mist. Hoffnung und Trost. Und Unschuld. Aber auch sexuelle Lektüre – Henry Miller und Anaïs Nin zum Beispiel wurden in Dänemark sehr früh erlaubt, und damit haben sie Vieles freigesetzt.

War Ihnen das damals schon bewusst?

Nein, damals nicht. Ich war siebzehn Jahre alt und kam immer nur auf Besuch nach Deutschland. Ich komme ja aus einer künstlerischen Familie – und das war ein Leben im Hochsitz. Man mischt sich nicht in die Politik hinein. Ich wurde erzogen, das so zu separieren.

Das allererste Lied, das Sie gesungen haben, öffentlich, in Dänemark hieß: „Ich heirate Papi“. Sie waren acht Jahre alt?

Ja. Das war ein deutsches Duett zwischen einem Vater und einem Kind, und das Kind sagt: Wenn ich groß bin, dann werde ich meinen Papa heiraten!

Heute stutzt man: „Ich heirate meinen Papi“?

Früher gab es eine andere Unschuld. Das war so. Und ehrlich gesagt finde ich es wirklich übertrieben, dass man heute so viele Fernsehsendungen mit dem Thema Sexismus füllt.

Sie glauben, dass alles in Ordnung ist zwischen den Geschlechtern?

Natürlich leben wir in einer Männerwelt, ja – wo die Macht herrscht. Und Frauen müssen oft doppelt so gut sein, um sich Respekt zu verschaffen. Und wenn zum Beispiel ein Politiker in einem hohen Alter gerade Vater geworden ist, möchte er doch der ganzen Welt zeigen, dass bei ihm immer noch eine Menge läuft – und was ist schöner, als ein Kompliment an die Attribute einer Frau zu liefern? Auch wenn sie sich dann das Recht nimmt, ihm was auf die Finger zu geben – eine Reprimande zu erteilen. Und das alles letztendlich mit viel Humor zu betrachten.

Skandinavische Frauen scheinen einen souveräneren Umgang mit Sexismus zu haben.

Wir haben früher damit angefangen, uns zu emanzipieren. Nummer eins. Aber wir haben auch unsere Männer mit dazu emanzipiert. Das heißt: Unsere Männer dürfen auch sensibel sein.

Hat der Zweite Weltkrieg eine Rolle dabei gespielt, dass Deutschland so weit hinterherhinkt mit der Gleichberechtigung?

Das fragen sich viele Menschen. Und es gibt keine wirkliche Antwort darauf, glaube ich. Hierarchien sind ausgeprägter in den Ländern südlich von Skandinavien. Aber Krieg macht einfach alles kaputt. Es gibt immer negative und positive Sachen in anderen Kulturen. Wenn wir uns heute die muslimische Kultur anschauen und sehen, wie die Frauen dort ausgeschlossen werden, dann ist das für mich als Skandinavierin undenkbar. Ich würde zum Beispiel zu einem Mann sagen: Das mit dem Harem ist eine tolle Idee, würde ich auch machen – als Frau! Was will man denn mehr? Aber zurück zur deutschen Kultur – hier liebe ich die alte Schule. Das haben wir in Skandinavien nicht so ausgeprägt. Dass man Sitten wirklich kultiviert.

Sie meinen die Höflichkeit?

Ja, die Höflichkeit! Früher dachte ich immer: Oh Gott, das ist nur Erziehung, das ist nicht echt.

Aufgesetzt?

Aufgesetzt oder aufgezwungen. Und jetzt bin ich wahrscheinlich schon so verdeutscht, dass ich wahnsinnig Wert drauf lege. Mit mir „Du“ zu sagen ist ganz schwierig, weil ich als Teenager so früh dieses deutsche „Sie“ lernen musste.

Hier in Berlin wird ja gnadenlos geduzt. Das kann also nichts werden mit Ihnen und Berlin als Heimat?

Ich lebe halb in Dänemark und halb in Berlin. Ich bin zwar eine Reisende, aber ich bin in Dänemark geboren, das ist meine Sprache, meine Kultur. Heimat ist da, wo man aufgewachsen ist. Ich bin sehr glücklich aufgewachsen in Dänemark. Da gehöre ich hin. Dänemark, das ist auch meine Kindersprache und mein Kindergebet. Das gehört für mich zusammen.

Hatten Sie ein besonderes Kindergebet in Dänemark?

Nein. Nur das Vaterunser. Das habe ich von meinen Großeltern gelernt. Meine Großeltern waren bezaubernd. Diese Liebe sitzt tief in mir drinnen und das ist eine gute Sache für mich als Dänin im Ausland. Es gibt mir Kraft.

Im Moment gibt es einen Rechtsruck in ganz Europa, auch in Skandinavien. Eine nationalistische Rückbesinnung auf die Heimat.

Ja. Zumindest, wenn man darüber nachdenkt, wie schlimm das gewesen ist in der Zeit ab 1933 und dann bis 1945. Die Nazis haben Musikaufnahmen in Dänemark gemacht – für ihre Parolen. Weil die Dänen so liberal waren, dass sie so was nicht verboten haben. Musik ist ein unglaublich starkes Wirkungsmittel. Es kann benutzt werden. Und es gibt in jedem Land Nazis. Nicht nur in Deutschland, auch in Dänemark und den anderen skandinavischen Ländern. Es ist fürchterlich hart für viele junge Leute heute, die keine Erziehung und keine Kultur mitbekommen von zu Hause aus. Es ist nicht modern, religiös zu sein, in die Kirche zu gehen. Viele haben null Halt in der Familie, und dann sind sie sehr anfällig für einen Führer.

Im europäischen System gibt es auch die These: Je einheitlicher Europa wird, desto größer wird das Bedürfnis innerhalb der einzelnen Länder, sich wieder auf ein eigenes, individuelles, nationalistisches Gefüge zu besinnen.

Aber das Wort Individualität ist ja verpönt! Ich komme aus einer individuellen Kultur, in der es erlaubt ist, sich sehr früh individuell zu entwickeln. Wenn man das nicht kriegt in einem frühen Alter, sprich in den Schulen, sondern nur hört: „Sitz, Platz, Fuß, Aus!“, dann kann sich nichts Eigenes entwickeln. Da sehe ich eine Gefahr.

Das Breivik-Attentat …

Er ist ein Gehirnspinner! Der ist so gut unterrichtet, dieser Mann. Der ist abgerichtet, und er ist richtig gefährlich. Ich finde, dass die Norweger fast zu viel über ihn schreiben. Dieser Mörder wird ja Vorbild für andere Hirngespinste durch so viel Aufmerksamkeit.

Öffentliche Aufmerksamkeit ist manchmal ein zweischneidiges Schwert. Lassen Sie uns einen Sprung machen, zurück zu Ihren Anfängen. Sie waren der berühmteste Kinderstar von ganz Skandinavien.

Ich war gar nicht so heiß drauf, ein Star zu werden. Viele haben gehofft – weil ich Talent habe –, dass ich auch eine hervorragende Schauspielerin werde. Meine Eltern haben mich zu klassischen Konzerten mitgeschleppt, aber das hatte keinen Sinn. Ich war zu unruhig. Mein Temperament war eher fokussiert auf das Rhythmische und die Körperlichkeit in der Musik. In Deutschland kommt dazu, dass ich in der deutschen Sprache nicht souverän genug bin, um einen Mitspieler mitreißen zu können.

Sie halten sich seit 57 Jahren auf der Bühne, auf hohem Niveau. Ist es dieser Perfektionismus, der Sie davor bewahrt hat abzurutschen, oder Ihr dänisches Vaterunser?

Das ist nicht das Schlechteste, das Vaterunser. Aber letztlich würde ich sagen: Ich bin nur ein Teil meiner Familie. Die waren alle starke Persönlichkeiten. Ich bin nur die Kleine gewesen, und mein Vater pflegte zu sagen: Wenn du nichts Vernünftiges zu sagen hast, dann halte lieber deinen Mund. Lektion Nummer eins. So wurde ich zu einer Beobachterin. Und dann hatte ich eine sehr, sehr gut formulierende, sehr intelligente Schwester, sie war uns allen überlegen. Es gab unseren Vater, der sehr autoritär war, sehr stark, und unsere Mutter, die höchstwahrscheinlich die wirklich Geniale war. Sie hat auch geschauspielert. Aber sie hat sich aufgeopfert für die Familie. Also, wenn man solche Persönlichkeiten in der Familie hat, ist man gar nicht so wichtig, wie man von außen gemacht wird. Ich habe nur eine Arbeit geleistet. Ausgeführt.

Gab es in Ihrem Leben auch Phasen, wo Sie dachten: Warum bin ich so früh in diesen Starkult reingedrängt worden? Ich hätte eigentlich was ganz anderes machen wollen?

Ja, als Kind schon. Da dachte ich, die sind nicht ganz dicht, dass die mich so zum Star machen und was die alles glauben, was ich bin! Es gibt doch tolle Künstler, die besser sind als ich. Und dann habe ich mich auf Judy Garland konzentriert und gedacht: Na okay, wenn ich also nun auch noch Teenager-Star sein soll, dann lasse ich mich lieber gleich von einer inspirieren, die das wirklich draufhat. Ich habe ihre Platten gehört und geweint. Es ist so ein Riesendrama, was sie mit sich herumgetragen hat, die Judy Garland. Und das können wir alle – ein Drama in uns tragen.

Heute versuchen viele eine Karriere zu machen über Casting-Shows wie „DSDS“.

Ich betrachte das als eine sehr kommerzielle Fernsehsendung, die sich international bewährt hat. Und welcher Sender will nicht gern Geld verdienen? Ich habe übrigens zu zwei Einladungen in die Jury Nein gesagt – sogar zu dreien.

Warum?

Weil das nicht mein Ding ist. Das ist nicht mein Leben, und ich verkaufe mich nicht an den Teufel. Aber ich sehe, dass viele Menschen diese Aufmerksamkeit brauchen. Dafür habe ich Verständnis. Ich habe sie schließlich schon gehabt – und viel davon! Die Vermittlungsart ist das Fernsehen. Im Fernsehen sein zu wollen bedeutet, vorzukommen in der Welt. Die Familie oder die Freunde sagen: Ich hab dich gesehen! Wenn man bedenkt, wie viele Millionen Zuschauer plötzlich auf eine Person gucken – die jungen Leute fühlen sich plötzlich enorm groß.

Ein Teil wird doch schlicht benutzt und vorgeführt.

Es ist wie bei den Löwen im Colosseum, im Römerreich – der Daumen geht entweder nach oben oder nach unten. Das Niveau ist oft sehr niedrig, das stimmt. Die künstlerischen Darbietungen sind wirklich nicht sehr beeindruckend im Vergleich zu den amerikanischen Sendungen. Aber – Fernsehen und Internet ist ja Gott! Ich persönlich habe auch ein großes Verständnis für hilflose Interpreten. Ich fange auch immer wieder von vorne an, weil ich diese Ursprungsunschuld nicht vermissen möchte.

Immer wieder von vorne anfangen – wie geht das?

Das weiß ich nicht. Das ist eine Philosophie, wenn auch eine kleine, die ich mir selbst aufgebaut habe. Ich habe mich gefragt, wo liegen für mich die Qualitäten? Bei welcher Kunst und bei welchen Menschen, die was zu geben haben auf einer Bühne? Was mag ich? Und die Großen, mit denen ich zusammen war in meinem Leben, die sind unheimlich, wie heißt das – „ydmyg“ sagen wir in Dänemark: klein, fein und respektvoll …

Bescheiden? Von einer gewissen Demut?

Bescheiden! Sie haben eine sehr schöne Demutsart.

Je größer und bekannter, desto demütiger?

Ja, die Erfahrung habe ich gemacht. Du musst sensibel bleiben.

Gibt es ein Lied, ein schwieriges Stück vielleicht, das Sie in diesem Leben unbedingt noch singen wollen?

Habe ich schon gesungen. Zwei Lieder. „Stormy weather“ und Leon Russell’s „A Song for You“.

Warum diese beiden?

Das große Leid, das große Drama steckt in „Stormy Weather“. Und das ist etwas, was ich sehr tief fühlen kann. Und diese Ballade von Leon Russell, „A Song for You“, die hat einen Raumausdruck, der einfach alles umfasst.

Nicht doch noch mal Lust, beim Grandprix anzutreten?

Nein, nein, nein. Ich habe als Teenager an einer Vorentscheidung in Dänemark teilgenommen mit einem sehr originellen Lied: „Jeg snakker med mig selv“. Das heißt: „Ich spreche mit mir selbst“. Und das wurde disqualifiziert, weil der Textverfasser das Lied in der Rundfunkkantine gepfiffen hat. Vor der Sendung! Da sieht man, wie prüde die Dänen sein können.

Dieses ganze Genre ist vorbei für Sie?

Nein, aber ich habe damals nur daran teilgenommen, weil ich Probleme hatte mit meinen Häusern in Kopenhagen und Geld brauchte. Ich wusste nicht, woher ich das Geld nehmen sollte.

Haben Sie die Häuser noch?

Die habe ich alle verkauft. Ich besitze heute null. Das ist nicht meine Philosophie – das Habenmüssen. Ich will keine Besitzende sein.

Ines Pohl ist taz-Chefredakteurin und spielt Akkordeon. Gaby Sohl ist ihre Büro-Agentin und taz-Autorin. Sie spielt spanische Gitarre