Der Merkelzettel für NRW

Ab heute gelten in NRW Angela Merkels Regeln. Was bringt die große Koalition dem größten Bundesland? Wer leidet unter Föderalismusreform und leeren Staatskassen, wer profitiert?

Die Uni-Rektoren

Hochschulrektor Peter Schulte muss sich künftig mit der Landesregierung streiten, wenn die FH Gelsenkirchen neue Computer und giftfreie Gebäude haben will. Der Bund gibt seine Zuständigkeiten für Bildung und Wissenschaft fast vollständig ab. Das Geld für den Unibau und die Anschaffung von Großgeräten, insgesamt 925 Millionen Euro, geht künftig zu 70 Prozent an die Länder – ohne Zweckbindung. „Für uns wird dann deutlich weniger abfallen“, sagt Schulte. Die restlichen 30 Prozent werden an „überregional bedeutsame Forschungsbauten“ vergeben. Auch das Hochschulrahmengesetz, mit dem der Bund versuchte, einheitliche Standards zu schaffen, soll wegfallen. „International wird Deutschland dadurch sehr unübersichtlich“ fürchtet Lothar Zechlin, Rektor der Universität Duisburg-Essen. „Und auch die Länder driften leistungsmäßig auseinander – die reichen werden besser, die armen bauen ab.“

Der Beamte

Ralf Eisenhöfer, der NRW-Landesvorsitzende des Deutschen Beamtenbundes, wird künftig häufiger mit Jürgen Rüttgers verhandeln müssen. Denn die Föderalismusreform beschert den Ländern mehr Kompetenzen bei der Besoldung ihrer Beamten – und dürfen von den Richtlinien des Bundes abweichen. Einen „Dumping-Wettbewerb“ fürchtet Eisenhöfer, die Länder könnten sich mit Einsparungen gegenseitig überbieten. „Wir haben uns eine einheitliche Regelung von Flensburg bis Ruhpolding gewünscht“, sagt er. Wenn Rüttgers bei den nächsten Tarifverhandlungen mit Verweis auf die leere Landeskasse ein „Sonderopfer“ fordern werde, wollen ihm die Beamten „ihr Schwert entgegenhalten.“

Der Subventionsempfänger

Für Werner Müller hätte es schlimmer kommen können. Einen drastischen Abbau der Kohlesubventionen hatte die schwarz-gelbe Wunschkoalition dem Vorstandschef des Bergbaubetreibers RAG vor der Wahl angedroht. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag kündigt nun zwar „Einsparungen“ an – gelobt aber, den „Weg der sozialverträglichen Anpassung“ nicht zu verlassen. Und bis 2008 sind die vereinbarten Zahlungen sicher. Für Müller bedeutet das: Er bekommt Zeit zu verhandeln, und über die SPD-Minister Einfluss zu nehmen. „Wir begrüßen, dass dem Steinkohlenbergbau eine Zukunftsperspektive gegeben wird“, teilt die RAG auf Anfrage mit.

Die Windmacher

Matthias Kynast aus dem ostwestfälischen Erwitte kann die Politik nicht mehr verstehen. „Manchmal frage ich mich, in welchem Film ich bin“, sagt er. Der Unternehmer bietet Beteiligungsfonds für Windkraftanlagen an – seine Kunden können ihre Verluste künftig nicht mehr von der Steuer absetzen. „Der helle Wahnsinn“, findet Kynast. Außerdem sollen nach dem Willen der neuen Bundesregierung künftig kaum noch neue Windparks an Land gebaut werden, sondern lediglich alte verbessert und in große Off-Shore-Anlagen vor der Küste investiert werden. „Das können sich nur noch die großen Firmen wie RWE leisten, der Mittelstand ist raus aus dem Geschäft“, sagt Kynast. Die nordrhein-westfälischen Windkraft-Zulieferbetriebe erwarten jedoch keine gravierenden Auftragseinbußen: „Den größten Teil unseres Geschäfts machen wir ohnehin im Ausland“, sagt Ralph Resch, Vorstand beim Bocholter Anlagenbauer Flender.

Der Handwerker

Jens Jorante hat Angst vor der Pleite. „Schwarz-Rot wird mein Ruin“, sagt der 51-jährige Malermeister aus Siegen. Sein Zwölf-Mann-Betrieb malt fast nur für „die kleinen Leute“. Das Problem dabei: „Die kleinen Leute machen immer mehr selbst.“ Jorante seufzt, als er das sagt; das Problem ist schon älter. Und jetzt hat schwarz-rot eine Mehrwertsteuererhöhung beschlossen – von 16 auf 19 Prozent. „Ich werde teurer und noch unattraktiver“, sagt Jorante. Auch die neuen Regelungen im Kündigungsschutz gehen Jorante nicht weit genug: Künftig kann die gesetzliche Probezeit auf zwei Jahre ausgeweitet werden. In diesem Zeitraum kann ohne die Angabe von Gründen mit einer Frist von zwei Jahren gekündigt werden. Dafür wird die Möglichkeit gestrichen, Arbeitsverträge in den ersten 24 Monaten ohne sachlichen Grund zu befristen. „Es hat sich also eigentlich nichts bewegt.“

Die Verkäuferin

Maria Thielen hat Angst, ihren Mann bald nur noch schlafend zu sehen. Im Zuge der Föderalismusreform können die Länder nämlich künftig selbst über die Ladenöffnungszeiten bestimmen. Und NRW will sich ändern. Die Öffnungszeiten an Werktagen sollen freigegeben werden, hat das Wirtschaftsministerium angekündigt. Maria Thielen arbeitet in einem kleinen Spielzeugladen in Bielefeld. Sie konkurriert mit einem Discounter vor der Stadt. „Wir müssen noch länger aufmachen als die, damit wir keine Kunden verlieren“, sagt sie. Die Gewerkschaft Verdi NRW fürchtet außerdem, dass die verlängerten Arbeitszeiten größtenteils durch geringfügig Beschäftigte abgedeckt werden.

Der Straßenbauer

„Die Straße sollte eigentlich schon vor dreißig Jahren gebaut werden“, sagt Wolfgang Werner. Der parteilose Bürgermeister von Datteln spricht über dieB 474 n. Die Schnellstraße soll die Autobahnen 2 und 43, das nördliche Ruhrgebiet mit dem Münsterland verbinden. Doch Streit mit den Nachbarstädten und Klagen von Anwohnern haben den Bau immer wieder verschoben. „Die Straße berührt natürlich die Landwirte, deren Felder zerschnitten werden“, sagt Bürgermeister Werner. Doch demnächst haben es Landwirte und Umweltschützer schwerer, ungeliebte Bauten zu stoppen: Der Koalitionsvertrag sieht ein so genanntes Planungsbeschleunigungsgesetz vor, das weniger Einspruchsinstanzen erlauben soll. Eine gute Sache, findet Bürgermeister Werner: „Wenn wir das schon vor Jahren gehabt hätten, hätten wir bessere Chancen gehabt, das BMW-Werk nach Datteln zu holen.“ BMW ging nach Leipzig. In den ostdeutschen Bundesländern waren beschleunigte Planungen schon erlaubt.

MIRIAM BUNJES, KLAUS JANSEN