NRW-SPD will als Opposition regieren: Das Hessen-Modell
Die SPD in NRW will mit den Grünen und einer Mehrheit von zehn Landtagsstimmen "in der Opposition regieren". In NRW hielt so eine Regierungsform nie mehr als zwei Monate.
DÜSSELDORF dpa | Zu ihrem 49. Geburtstag an diesem Samstag bekam Hannelore Kraft einen dicken Blumenstrauß - und rauschenden Beifall von der Basis. Dass sie nicht in die "Ypsilanti-Falle" einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei getappt war und sich jetzt auch noch der Umarmung von CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers in einer großen Koalition entzogen hatte, ließ viele Parteiangehörige jubeln. "100-prozentige Zustimmung" habe der entsprechende SPD-Vorstandsbeschluss vom Freitagabend gefunden, berichteten Teilnehmer von zwei SPD-Regionalkonferenzen in Bielefeld und Dortmund.
Künftig muss Rüttgers ohne eigene Mehrheit auskommen und damit rechnen, dass das rot-grüne Lager zentrale Reformen seiner Regierungszeit zurückdreht - wie in Hessen, wo eine mächtige Opposition in der Zeit der CDU-Minderheitsregierung seit April 2008 zum Beispiel die Studiengebühren wieder abgeschafft hatte.
Juristisches Fingerhakeln zwischen dem rot-grün dominierten Parlament und der Düsseldorfer Staatskanzlei sind zu erwarten, wenn beide Organe darum streiten, wer für welche Entscheidungen die Zuständigkeit hat. Und über allem schwebt das Damoklesschwert des nächsten Haushalts: Für dessen Verabschiedung fehlt Rüttgers definitiv die Mehrheit im Landtag.
Nerven sind gefragt. Am Samstag zeigte der Regierungschef deshalb demonstrativ Gelassenheit. Er werde alles dafür tun, das Land weiter gut zu regieren, beschwichtigte er bei einem kurzfristig anberaumten Presseauftritt vor der CDU-Parteizentrale in Düsseldorf. Für die SPD hatte er nur noch den Vorwurf der "Gestaltungsverweigerung" übrig.
Rüttgers hat seine Juristen befragt. Nach der Interpretation der Regierung kann er noch sehr lange geschäftsführend die Geschicke des Landes leiten: Artikel 82 der NRW-Verfassung erlaubt nach Einschätzung der Landesregierung nämlich, den aktuellen Haushalt einfach für das kommende Jahr fortzuschreiben, wenn kein genehmigtes Zahlenwerk vorliegt.
Vor allem sind die Juristen sich aber weitgehend einig, dass die geschäftsführende NRW-Landesregierung im Bundesrat trotz fehlender Parlamentsmehrheit weiter für Schwarz-Gelb abstimmen kann. Die knappe Mehrheit von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Länderkammer ist damit vorerst sicher - zum Beispiel für das von der Opposition heftig kritisierte Sparpaket und für alle weiteren Reformen, die in der Wirtschaftskrise auf das Land noch zukommen.
Das ist aus SPD-Sicht die Achillesferse des Taktikcoups von Hannelore Kraft. Vor allem Grüne und Linkspartei reagierten deshalb am Samstag zum Teil mit scharfer Kritik auf den SPD-Beschluss und warfen der Partei Mutlosigkeit und "Schockstarre" vor, mit der sich die SPD am "Sozialabbau" mitschuldig mache. Auch in den Regionalkonferenzen gab es vereinzelte Stimmen, die wegen des Bundesrates doch eine SPD-Minderheitsregierung bevorzugt hätten. Aber diesen Weg könne Kraft ja später immer noch gehen, wenn die Bundesregierung ihre Bundesrats-Mehrheit überstrapaziere, sagte ein Teilnehmer.
Regierungen ohne eigene Mehrheit gab es in NRW schon dreimal. Keine hielt länger als zwei Monate. Es gibt aber auch andere Beispiele: Hessens Ministerpräsident Koch agierte nach seiner verlorenen Wahl Anfang 2008 fast ein Jahr als geschäftsführender Ministerpräsident - dann brachte ihm die Neuwahl die Mehrheit zurück.
Leser*innenkommentare
Gut-So
Gast
Ich kann das Geheule über die Entscheidung der NRW-SPD nicht nachvollziehen. Die Mehrheit der Nordrhein-Westfälischen Bevölkerung hat gewählt und entschieden, dass Herr Rüttgers und seine CDU eine kleine Mehrheit vor der SPD haben sollte. Herr Rüttgers, der am Wahlabend noch kurz davor war alles hinzuschmeißen, führte sich am nächsten Tag auf, als ginge ohne ihn nichts in NRW, blieb aber untätig. Ich kann mich nicht erinnern, dass er als Vorsitzender der stärksten Partei die Grünen und die FDP zu gemeinsamen Sondierungsgesprächen eingeladen hat, um eine mögliche Koalition auszuloten. Das möchte ich als mangelnden "Gestaltungswillen" bezeichnen. Und die Tatsache, dass in der NRW-CDU scheinbar nicht über personelle Änderungen nachgedacht wurde, werte ich als Zeichen von Arroganz gegenüber der Mehrheit der Wähler, die Herrn Rüttgers nicht mehr als Ministerpräsident haben möchte.
Frau Kraft und die NRW-SPD hat mit allen Parteien Gespräche geführt und entschieden, dass mit keiner Partei, außer den Grünen, ihr Programm, für das sie gewählt wurden, zu realisieren ist. Und ich finde es honorig, den Willen der SPD-Wähler vor den eignen Machtwillen zu stellen.
Norman Frey
Gast
@Bernd Goldammer:
"Wenn Rüttgers den geplanten Sozialabbau im Bundesrat verhindert[...]" ??
Es gibt also tatsächlich Menschen die dieses ganze Rüttger'sche Arbeiterführer-Märchen glauben? Fragen sie mal die nordrhein-westfälischen gebührengeplagten Studenten, wie unglaublich sozial dieser Rüttgers ist.
Irene
Gast
Wird das jetzt zum Standard, dass in der Wahlnacht die Sektkorken bei SPD, Grünen und Linkspartei knallen und nach ein paar Wochen regiert der CDU-Ministerpräsident einfach weiter? Versuchen hätten sie´s doch wenigstens können.
Locke
Gast
Das ist doch wirklich nicht zu fassen.
Es lässt sich kaum noch verhehlen, dass sich ALLE Politiker wirklich besser zusammen in die Buddelkiste setzen sollten. Da können Sie dann wenigstens noch mit Sand schmeißen und mit den Förmchen zuhauen, wenn Sie nicht mehr weiterwissen.
Schrecklich!!
Dietmar Reitz
Gast
Mir fällt da nur ein Spruch vom alten Wehner ein: Tüffeltoffel
Jedenfalls ist das nun das Dümmste, was die machen konnten. Hier gilt der alte Spruch, den ich der SPD seit Jahren in Sachen Vermögens teuer nachsage, wasch-' mich aber mach mir den Pelz nicht nass. Das Land steckt in der größte Krise seit 1949, die Regierung in Berlin kriegt nix auf die Reihe,außer Sozialneid zu schüren und Leistungen zu kürzen, um sich dabei noch selbst zu zerstreiten. Und die SPD? Stiehlt sich aus der Affäre.
Tüffeltoffel eben.
vic
Gast
Allein wegen der Weigerung, anzuerkennen das die Linke die bessere sozialdemokratische Partei ist, und dass ohne eine Zusammenarbeit gar nix geht, sei der NRW-SPD ein Abstieg in die Bedeutungslosigkeit gegönnt.
Der Bundesrat wird nun erleichert die AKW-Laufzeiten verlängern und auch sonst wobei auch immer den Konzern-Chefetagen dienlich sein.
Die SPD verschenkte Hessen und nun auch NRW.
Was haben die eigentlich vor?
Norman Frey
Gast
Ich verstehe ja nie, was die Politiker dieses Landes immer gegen Minderheitsregierungen haben. Ich hielte eine Minderheitsregierung für eine Bereicherung für die politische Praxis in Deutschland. So könnte die Regierung ihre Vorhaben durch wechselnde Mehrheiten realisieren, was mehr Flexibilität brächte. Und Gesetze, die die Rgierung will, aber die Parlamentsmehrheit nicht, scheitern eben. Somit wäre die Gesetzgebung wieder vom Parlament, das ja die eigentliche Legislative also gesetzgebende Gewalt darstellt, abhängig und nicht von der Regierungskoalition, die eigentlich nur zum Gesetze ausführen da ist.
WoW
Gast
Klasse Foto, taz. Nun weiß jeder, der seine Stimme einer der beiden gegeben hat, was er falsch gemacht hat.
K.O.
Gast
Diese Verlogenheit der SPD-'Spitzen'-PolitikerInnen ist ja echt nicht mehr erträglich... Weil man der Linken die Regierungsbeteiligung nicht gönnt, will man sie in der Opposition ausnutzen. Als wenn ohne die Linken Regierungspolitik 'mitgestaltet' werden könnte. Es ist eines dieser hilflosen und hirnlosen Versuche der SPD mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Siehe Präsidentenwahl. Das wird nicht funktionieren und ich hoffe die SPD wird bei der nächsten Wahl unter die 10% Marke gewählt. Statt zu versuchen die Linke aus egoistischen und pseudostrategischen Gründen ständig und überall zu demütigen, sollten sich die letzten Linken in der SPD versuchen mit der Linken zu kooperieren. Davor haben die ideenlosen, feigen und opportunistischen Krafts dieser SPD aber Angst, weil sie dann ganz offentsichtlich zum 5. Rad am Wagen werden würden.
Huge
Gast
Was ist das denn für ein Partyfoto? :D
Tomate
Gast
Ich dachte immer, Wahlen haben die Funktion, den Wählerwillen nicht nur zur Konstitution der Legislative, sondern auch der Exekutive zu ermitteln. Mit anderen Worten: zur Wahl ruft man mich, damit ich nicht nur ein Parlament, sondern (auf diesem Umweg) auch eine Regierung wähle.
Nun sagt die SPD: Ellerbätsch, ihr habt uns gewählt, aber wir wollen nicht. Das Regieren wäre uns nämlich zu kompliziert.
Na gut, aber wozu dann überhaupt Demokratie? Da beschwere sich noch mal einer über Wahlmüdigkeit ...
Bernd Goldammer
Gast
Wenn Rüttgers den geplanten Sozialabbau im Bundesrat verhindert, werden die beiden Damen vom Foto überflüssig. Denn Sozengrün ist wirklich keine Lösung.