Neues Gärtnern: "Der Garten ist Teil der Stadt als Bühne"

Auch in Dessau bepflanzen Bürger öffentliche Flächen. Das vom Bauhaus initiierte Projekt wird von der Stadt unterstützt, sagt Projektleiterin Brückner

taz: Frau Brückner, Anwohner pflanzen Obstbäume am Görlitzer Bahnhof, überall entstehen interkulturelle Gärten, auf Brachen wird Gemüse gezogen. Gibt es eine neue Kultur des innerstädtischen Gärtnerns?

Heike Brückner: Ich denke: ja. Es gibt das Bedürfnis, sich als Bürger mit Stadt und Stadtentwicklung auseinanderzusetzen und dabei selbst ganz praktisch was zu tun. Der Garten ist dabei Teil der Stadt als Bühne.

In Dessau verbinden sie bei Ihrem Claiming-Projekt das Thema Garten mit dem des Stadtumbaus.

Heike Brückner, geboren 1963, ist Landschaftsarchitektin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bauhaus in Dessau. Sie beschäftigt sich mit dem Thema Landschaft im Stadtumbau.

Dort, wo früher Häuser standen, können Bürger die Patenschaft für eine Fläche übernehmen und ein Stück Stadt gestalten - in Kultur nehmen, wie wir gern sagen. Auf 400 Quadratmetern Dessau können sie einen Garten anlegen, ihre Freizeit verbringen oder auch eine Art dreidimensionale Visitenkarte für ihren Verein, ihr Unternehmen gestalten.

Gibt es die Flächen umsonst?

Ja. Im Gegenzug übernimmt der Akteur die Pflege der Flächen.

Was war die erste Nutzung?

Das Erste war ein Apothekergarten - dafür wurden von der Akteurin zwei Claim-Flächen unter Vertrag genommen. Dann gab es einen Interkulturellen Garten. Den hatte das Multikulturelle Zentrum Dessau schon lange geplant. Es gab Schutt- und Gesteinsgärten, aber auch einen BMX-Parcours, der von Dessauer Jugendlichen angelegt wurde.

Was ist erlaubt, was nicht?

Das haben wir ziemlich weit formuliert, um der Fantasie keine Grenzen zu setzen: Alles ist erlaubt, was zu Bereicherung der neuen Stadtlandschaft beiträgt, also hilft, Nachbarschaften zu stabilisieren oder etwas für die Ökologie zu tun oder einfach nur etwas Schönes zu gestalten. Nicht erlaubt sind in der Regel Zäune, Gartenlauben und all das, was es in Baumärkten zu kaufen gibt. Wichtiger als Regeln ist uns das Gespräch: Wir haben sogenannte weiche Spielregeln der Inkulturnahme aufgestellt, über die wir dann jeweils reden.

Wie hat die Stadtverwaltung auf das Projekt reagiert?

Die Stadtverwaltung war mit der Auslöser des Projekts. Denn in der ersten Phase des Stadtumbaus haben Wohnungsunternehmen und Grundstücksbesitzer dem Ganzen eher abwartend bis skeptisch gegenübergestanden. In dieser Phase war es wichtig, neue Akteure zu gewinnen und in den Prozess einzubinden, die in den neu gewonnenen Freiräumen auch eine Chance sehen, etwas Gutes und Neues für die Stadt zu schaffen. Vor diesem Hintergrund hat sich die Stadt für die Bürger-Claims starkgemacht und das Projekt gefördert.

Ist das neue Gärtnern auch eine soziale Bewegung, ähnlich wie die Selbstversorgergärten zu Beginn des 20. Jahrhunderts?

Ich würde es auf jeden Fall so bewerten. Es geht zwar (noch) nicht so sehr um Selbstversorgung im engeren Sinn, wohl aber um Formen einer konkreten Teilhabe und Mitsprache an dem, was städtisches Gemeinwesen ausmacht - oder in Zukunft besser machen soll. Bei unseren Claim-Akteuren fällt auf, dass sie meist auch ein konkretes Anliegen in Bezug auf das, was Stadt als Gemeinwesen ausmacht, formulieren und sich immer als Teil einer Bewegung verstehen. Und dass sie in die Zukunft denken. Zum Beispiel, wenn sie mit nachwachsenden Rohstoffen auf Stadtbrachen experimentieren oder ganz bewusst in der Stadt Wildnisflächen anlegen.

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