Journalistin mit Migrationshintergrund: "Nachfahrin Mohammeds"

Schreibt sie kritisch über Migrationsthemen, feiern sie die Rechten. MigrantInnen verlangen, dass sie ihr Sprachrohr ist. Eine taz-Redakteurin über den Zwiespalt ihrer Arbeit.

Zwischen Anbiederung und Kritik: Manche MigrantInnen wollen ihre Worte auch direkt in den Block diktieren. Bild: steffne / "photocase"

Mein Vater sagt immer: "Kind, dein Blut ist genauso rot wie das der anderen." Oder: "Alle Menschen sind gleich, keiner ist gleicher." Mit den "Anderen" meint er die deutsche Mehrheitsgesellschaft. Spätestens seit ich als Journalistin arbeite, mag ich das nicht mehr so recht glauben. Ständig wird mein Migrationshintergrund thematisiert, und ich sehe mich fortwährend als "Andere" wahrgenommen. Ich war noch nicht lange in der taz, da fragte mich ein Redakteur in der Kaffeeküche, ob ich einen Döner wolle. Es sollte ein Scherz sein. Und als die Debatte über die Rütli-Schule losging, sagte ein Kollege zu mir: "Na, was habt ihr wieder angestellt?"

Leser und Journalisten unterstellen mir wahlweise, ich würde für oder gegen Migranten oder die Ursprungsdeutschen schreiben. Ich frage mich öfter, wie ich in diese Position geraten bin. Meine Eltern sind klassische Gastarbeiter. Unter meinen Vorfahren finden sich Türken, Kurden und Iraker, sunnitische Muslime ebenso wie Aleviten. Ich und meine zwei Geschwister wuchsen im Ruhrgebiet auf. Meine Eltern mahnten uns, seit ich denken kann: "Lernt, damit ihr nicht in der Fabrik landet wie wir! Seid besser als alle anderen, nur so könnt ihr euch zur Wehr setzen." Ihr Glaube an die Gleichheit war wohl doch nicht so stark.

Zu Recht. Als ich bei der Abiturprüfung meines Deutschleistungskurses die Klausur abgab, sagte mein Lehrer laut in die Klasse: "Hier stinkt es nach Knoblauch."

Nach dem Abitur begann eine wunderbare Zeit für mich. Ich studierte Völkerrecht und Osteuropäische Geschichte an der Universität Köln, wo ich mich mit meinen Lieblingsthemen Völkermord, Kriegsverbrechen, internationales Strafrecht und dem Kaukasus beschäftigte. Meine Herkunft war kein Thema. Ich putzte, um meine Miete zahlen zu können. Auch hier war ich eine unter vielen, denn putzende, dunkelhäutige Menschen gibt es eine ganze Menge. Mit Stipendien machte ich mir eine herrliche Zeit an russischen Hochschulen. Nach dem Studium bewarb ich mich dann an der Journalistenschule und wurde angenommen. Das änderte alles. Denn seitdem fühle ich mich des Öfteren, als sei ich ein Exponat im Zoo.

Wie selbstverständlich wurde ich schon im Bewerbungsgespräch für die Schule nach meiner Herkunft gefragt. Als Französin oder Amerikanerin wäre ich langweilig gewesen. Aber eine Frau, deren Eltern aus dem Irak und der Türkei ausgewandert sind, eine Frau, die islamisch und liberal geprägt ist und die einen Haupt- von einem Nebensatz unterscheiden kann, schien den Journalisten ein Faszinosum zu sein.

Seither werde ich regelmäßig nach meinem Privatleben ausgehorcht. Man stellt mir Fragen, die ich anmaßend finde, einige sind peinlich, manche beschämen mich. Bei Heidi und Hans interessiert sich doch auch niemand für ihre Familien. Aber bei mir darf man das wohl?

Erstaunlich finden viele Frager den Hintergrund meiner Eltern. Es sei doch bemerkenswert, dass ausländische Arbeiter Akademikerkinder zustanden brächten, wurde mir sogar mal nahegebracht. Bei meinem Deutsch erwarten die Verwunderten offenbar, meine Eltern sollten mindestens Ärzte sein.

Selbstverständlich habe ich spezielle Sprach- und Landeskenntnisse, und es ist richtig, wenn mir mehr Ahnung über den Islam oder die deutsch-türkische Community zugestanden wird als anderen. Mich stört die unangenehme Nebenwirkung: Kompetenzen, die ich mir hart erarbeiten musste, werden gerne mal übersehen. Ich habe Völkerrecht studiert, nicht Einwandererdasein.

Kaum war mein Name zum ersten Mal in der Zeitung, bekam ich einen Anruf von einer Redakteurin eines öffentlich-rechtlichen Formats. Damals stand die Grünen-Politikerin Ekin Deligöz in der Öffentlichkeit, weil sie das Tragen von Kopftüchern kritisierte. Ich befand mich gerade an der Supermarktkasse, als diese Kollegin mich erreichte. Sie fragte, ob ich in ihrer Sendung nicht etwas zu dem Thema sagen könnte. Ich lehnte ab. Denn: Es stört mich nicht, dass es dieses Stück Stoff gibt, solange sich die Trägerin freiwillig dafür entscheidet. Ist das nicht so, muss das aufs Schärfste kritisiert werden. "Ja aber, sie müssen doch mehr dazu sagen können, gerade Sie, mit ihrem Namen", flehte die Journalistin mich an. Aber ich will nicht vor eine Kamera, sagte ich ihr, und erst nach langem Hin und Her gab sie auf.

Bei meinem ersten Vorstellungsgespräch wünschte ich mir, nicht über Migrationsthemen schreiben zu müssen. Mein Ressortleiter äußerte Verständnis, aber es sei gerade Ramadan. Ob ich nicht einen türkischen Metzger porträtieren könne? Und ich tat es. Seitdem schreibe ich über Einwanderung. Ja, es macht mir Spaß, es ist vielschichtig, interessant. Das Thema bereitet mir Freude, aber auch viele Kopfschmerzen.

Kopfschmerzen wegen des Zwiespalts, in dem ich mich befinde. Denn inzwischen wünschen sich Kolleginnen und Kollegen durchaus von mir, dass ich auch über andere Themen schreibe. Aber ich habe mir mittlerweile in Sachen Migration eine Kompetenz erarbeitet, und die möchte ich auch ausspielen und mich freischreiben. Viele Leser und Kollegen können sich offenbar gar nicht vorstellen, dass ich eine journalistische Distanz zu diesen Themen habe. Man unterstellt mir politische Absichten gegenüber gewissen Migrantengruppen. Die habe ich auch: Alle Menschen sind gleich, keiner ist gleicher. Deswegen gehe ich genauso kritisch mit Migrationsthemen um, wie ich das auch in der Gesundheitspolitik täte.

Haben die Einwanderer und ihre Kinder nicht ein Recht darauf, auf Augenhöhe, fair und gerecht behandelt zu werden? Wer sie ernst nimmt, muss sachlich kritisieren dürfen und sie nicht unter einen vermeintlich wohlmeinenden Artenschutz stellen.

Doch die Migrationsdebatte ist emotional derart beladen, dass meine Worte instrumentalisiert werden - sowohl von der Mehrheits- als auch von der Minderheitsgesellschaft. Kritisiere ich beispielsweise Einwanderer, werde ich auf der rechten Internetplattform "PI" zitiert. Dort lobt man mich dann als Ausländerin, welche die Wahrheit endlich kapiert habe. Doch als ich einen Text über Islamophobie geschrieben hatte, fragte mich ein Fremder am Telefon: "Sind Sie die Nachfahrin des Kinderfickers Mohammed?"

Von Lesern mit türkischen oder russischen Namen bekomme ich Briefe, in denen mir vorgeworfen wird, ich hätte keine Ahnung von der harten Realität der Migranten oder ich hätte doch wohl noch eine Rechnung mit meinem Heimatland offen. Ehrlich gesagt, ich habe nicht ansatzweise ein Problem mit meiner Herkunft, die anderen scheinen es zu haben. Es gibt aber auch die Migranten, die denken, ich wäre ihr Sprachrohr. Manche diktieren mir ihre Wünsche förmlich aufs Band und gehen davon aus, ich würde nichts Kritisches schreiben. Kürzlich führte ich ein Interview mit einem kurdischen Abgeordneten der Linkspartei. Nachdem das Aufnahmegerät ausgeschaltet war, sagte er: "Wir sind doch beide Kurden. Also, schreiben Sie nichts Schlechtes über mich."

Mit Anbiederung und Kritik muss ich natürlich umgehen, sie ist Teil meiner Arbeit. Mir geht es um die Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit Einwanderern umgeht, auch mit jenen, die als Journalisten arbeiten. Und um die Unterstellungen sowohl vonseiten der Mehrheitsgesellschaft als auch von der der Einwanderer.

Beklemmend wird es, wenn ich selbst dann meiner Herkunft nicht entkomme, wenn ich mich mal nicht mit Migrationsthemen befasse. Vor Kurzem recherchierte ich zu Kindern, deren Eltern im Naziregime hohe Positionen innehatten. Ich sprach mit einer Frau, deren Vater angeblich bei der SS war. Als ich am Telefon meinen Namen nannte, sagte sie: "Ich habe schon immer auf einen Anruf von Ihnen gewartet." Ich fragte, warum das so sei, und sie antwortete: "Ja, von einem Migranten, die haben das dritte Auge, sehen vieles viel differenzierter."

Aha.

Gerne würde ich solche Episoden aus meinem Berufsleben als Einzelfälle oder Spinnereien abtun. Es sind nur zu viele, als dass ich das könnte.

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