die wahrheit: Gesichter zum Anbeißen

Selbstversuch: Wird man als frisch gebackener Vegetarier zum Hitler?

Erst durch das richtige Fleisch und durch eine hinreichend gute Menge Fett gelingt der Burger beim Grillen. Bild: ap

Das Handy klingelt - am anderen Ende meldet sich eine geschockte Freundin und keucht: "Aber wieso? Wieso ausgerechnet du!?" Etwa drei Sekunden zuvor hatte ich auf ihre E-Mail-Einladung zum Geburtstag geantwortet und gefragt, was es denn zu essen geben soll, weil ich nun kein Fleisch mehr zu mir nähme. Das hat die aus Ungarn stammende geborene Fleischfresserin zu diesem panischen Anruf getrieben. Wie sie mir später berichtete, hatten ihre Kollegen im Büro sie nach dem Auflegen nur noch mitleidig angesehen und gefragt, ob ihr Freund denn nun schwul geworden sei.

So kann es einem ergehen, wenn man sich plötzlich entschließt, dem tierischen Muskeleiweiß zu entsagen. Die Gesellschaft wendet sich auf einmal gegen einen. Dabei hatte ich es gar nicht darauf abgesehen, irgendeine gesellschaftliche Kontroverse auszulösen oder mein Umfeld damit zu terrorisieren. Ich fand so etwas selbst immer sehr anstrengend, vor allem weil man mit Vegetariern gar nicht gut diskutieren kann. Früher führte ich leidenschaftliche Debatten mit Vegetariern und Veganern in meinem Bekanntenkreis - etwa darüber, warum man so ein Verbrechen wie Tofugrillwürstchen begehen müsse und wie idiotisch es sei, Zucchinigemüse nicht aus einem Topf essen zu wollen, in dem schon mal Gulaschsuppe war. Damals hätte ich auf die Aussage: "Ich esse nichts, was Augen hat", auch gern mit einem Zitat von Sylvester Stallone geantwortet: "Ich esse alles, was ein Gesicht hat."

Aber nun merke ich, dass diese verbohrten, sturen und kritikunfähigen Veggies gar nichts dafür können - und was noch viel schlimmer ist: Ich werde schon genauso. Eigentlich hatte ich ja beschlossen, über meine Gründe zu schweigen, doch das scheint bei Weitem komplizierter als der Fleischverzicht selbst.

Mehrmals habe ich mich dabei ertappt, wie ich auf Anspielungen zu meinem neuen - und von vielen vermutlich als Spinnerei betrachteten - Vegetarismus kratzbürstig reagierte und anfing zu predigen, wie engstirnig und dumm diese ungezügelte Gammelfleischfresserei sei. Und während mein Mund die Sätze formte, wusste ich bereits, ich bin verloren, das wird böse enden mit mir. Womöglich verliere ich sogar ganz meinen Humor, wie so viele Vegetarier vor mir. Oder ich werde zum Tyrann und Diktator - grausam wie Adolf Hitler, der ja auch leidenschaftlicher Vegetarier war. Wenn ich nicht aufpasse, bin ich schon längst die neue tofukauende Inkarnation des Führers?

Quatsch, sagt mein letzter Rest Vernunft. Bloß weil du jetzt kein Fleisch mehr isst, muss das die Welt nicht ins Verderben stürzen. Aber was, wenn doch? Mir scheint, Veggie sein macht neurotisch und löst auf irgendeiner neurochemischen Ebene fatale Prozesse aus. Beispiele gibt es dafür ja genug. Oder wie kommt es sonst, dass etwa der Deutsche Vegetarierbund als Zeichen des Protests kürzlich versuchte, die Medien plump und humorlos mit Meldungen über ein Berliner Kannibalenrestaurant zu foppen? Das hat zwar keiner geglaubt, wirft aber dennoch die Frage auf, ob Vegetarier denn nun Menschenfleisch essen, vorausgesetzt, es handelt sich um freilaufende Exemplare. In jedem Fall ist das ein weiterer Beleg dafür, dass Vegetarismus ein fruchtbarer Nährboden für extremes Gedankengut ist - der Weg zur Diktatur ist wahrlich nicht mehr weit. Eine düstere Vorstellung, die ich nicht wahr werden lassen möchte.

Ich habe deshalb beschlossen, ab sofort einmal im Monat ein Schnitzel zu essen, um mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen - natürlich bio und vom regional verwurzelten Streichelschwein. Ich fordere hiermit alle Veggies dringend auf, es mir gleichzutun. Diese Schnitzelquote für Vegetarier wird unsere zukünftige Gesellschaft eindeutig verbessern. Und für alle Actionfans, die wie der Muskelmime Sylvester Stallone aus Image-Gründen gern etwas essen, das ein Gesicht hat, empfehle ich die Bärchenwurst vom örtlichen Metzger.

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kari

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