Meinungsfreiheit: Brandherd Theater

In einer Rezension der Hamburger Hamlet-Inszenierung zitiert die "Welt" ohne Not den Koran als Beispiel für einen platten Text. Thalia-Intendant Lux wittert Volksverhetzung.

Von vielen gelobt, von einem verrissen: die Perceval-Inszenierung des Hamlet mit Josef Ostendorf (links) und Jörg Pohl (rechts). Bild: dpa

Möglich, dass es Theaterdonner ist, der da rund ums Hamburger Thalia-Theater und seine Hamlet-Inszenierung dröhnt. Das schließt allerdings nicht aus, dass daneben die Grenzen der Meinungsfreiheit ausgelotet werden. Die Zutaten für einen Eklat sind auf jeden Fall gegeben: Auf der einen Seite ein Rezensent, der einen mindestens unglücklichen Vergleich zwischen Bibel und Koran zieht, ihm gegenüber ein Intendant, der in seiner Replik die "Reichskristallnacht" bemüht und den Kritiker der Volksverhetzung zeiht.

Der Reihe nach: Am Samstag hatte am Thalia Theater unter der Regie von Luc Perceval Shakespeares "Hamlet" Premiere. Perceval hatte den türkischstämmigen Autor Feridun Zaimoglu und dessen Co-Autor Günter Senkel um eine Neuübersetzung des Textes gebeten. Sie war in den meisten Rezensionen als direkt und komprimierend gelobt worden. Welt-Autor Alan Posener dagegen schreibt: "Dieser Text verhält sich zum Original wie der Koran zur Bibel. Er hat dem Urtext alles Widersprüchliche ausgetrieben und mit ihm auch alle Poesie, alle Tiefe." Dann schlägt Posener den Bogen zum Karikaturenstreit: "Malt ein dänischer Karikaturist eine mäßig lustige Mohammed-Karikatur", so schreibt er, "werden überall dänische Botschaften abgefackelt. Wird Shakespeare vergewaltigt, dem wir, wie Heinrich Heine einmal schrieb, ,das weltliche Evangelium' verdanken, wird das artig beklatscht."

Erst danach geling Posener die Volte weg von der Brandbeschleunigung: "Nicht, dass man dem Abfackeln von Theatern das Wort reden möchte. Aber wer Schauspielkunst mag, sollte Häuser meiden, wo selbstverliebte Regisseure das Wort führen." Überschrieben war der Text mit "Hamlet für Blöde", in der Unterzeile heißt es: "Wenn der Muezzin jodelt."

wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren bestraft.

Strafrechtlich ist sie dann gegeben, wenn jemand in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.

Eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung durch den Welt-Artikel ist laut Hamburger Staatsanwaltschaft derzeit nicht bekannt. Der Begriff der Meinungsfreiheit sei weit gefasst, Ermittlungen wegen Zeitungstexten selten.

Für Joachim Lux, den Intendanten des Thalia-Theaters, war der Text Grund genug, einen offenen Brief an die Chefredaktion der Welt zu schreiben. Nach eigenem Bekunden in 30 Theaterjahren seine erste öffentliche Reaktion auf eine Kritik. Darin heißt es, dass die Rezension "nahezu oder tatsächlich den strafrechtlichen Tatbestand der Volksverhetzung und der Verunglimpfung anderer Religionen" erfülle. Lux fährt fort: "Man setzt mal irgendwas in die Welt (…) und schlägt anschließend in irgendeiner Kristallnacht die Fensterscheiben ein." Am Schluss wünscht sich Lux, dass weitere Besuche des Kritikers seinem Haus erspart blieben - als Hausverbot will er das aber nicht verstanden wissen.

Soweit die Fakten. Inhaltlich unverständlich bleibt zumindest Lux, woran der Rezensent eigentlich Anstoß genommen hat. In der Zaimoglu-Übersetzung werden weder der Koran noch der Islam erwähnt. Bemerkenswert ist, dass Posener in keinster Weise Hinweise für irgendeine Art von Islamophobie gibt. Der britisch-deutsche Journalist stammt aus einer liberalen jüdischen Familie, er steht seit Jahren im Dienst der Welt, zuletzt als Korrespondent für Politik und Gesellschaft. Aufgefallen ist er, als er in seinem Weblog die Bild-Zeitung für das Bedienen "niedrigster Instinkte" angriff und dabei auch Chefredakteur Diekmann anging. Für die Jüdische Allgemeine setzte er sich 2009 kritisch mit der Islamophobie in Deutschland auseinander.

Während Intendant Lux nun eine Entschuldigung der Welt für durchaus angebracht hält, ist man dort weit davon entfernt. Feuilleton-Chef Cornelius Tittel "weiß nicht, was den Intendanten reitet": Zwar könne man den Vergleich zwischen Bibel und Koran "als klassische Textkritik" lesen, er falle auf jeden Fall unter die Meinungsfreiheit. Lux habe "böswillig" aus der Rezension zitiert - und wegen des "Reichskristallnacht"-Vergleichs sei es an ihm, sich zu entschuldigen.

Posener selbst schreibt an die taz, dass sein Text nicht misszuverstehen sei. Dass der Koran in weiten Teilen versuche, die Widersprüche zwischen Altem und Neuem Testament zu glätten, sei "eine Binsenweisheit der Islamwissenschaft". Die Analogie sei also: Shakespeare gleich Bibel, geglättete Version gleich Koran. Ihm Islamophobie vorzuwerfen, sei nach seinem Angriffen auf Sarrazin wegen dessen Islamfeindlichkeit und seines Rauswurfs aus dem Blog "Achse des Guten", weil er "nicht islamophob genug" gewesen sei, abwegig. Dennoch bleibe er dabei: Die Verunglimpfung jeglicher Religion sei "ein Menschenrecht".

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