Proteste gegen Frankreichs Rentenreform: Widerstand aus allen Schichten
Während an den Tankstellen der Treibstoff knapp wird, verfügt die Protestbewegung gegen die Rentenreform über nahezu unbegrenzte Reserven.
Die französische Regierung glaubte den Sieg in der Auseinandersetzung über die Rentenreform schon in der Tasche zu haben. Nachdem die rechte Mehrheit in der Nationalversammlung der Erhöhung des Rentenalters und der Verlängerung der für eine Vollrente erforderlichen Beitragsjahre zugestimmt hat, zeichnet sich auch eine Zustimmung im Senat ab. Unisono haben Präsident Nicolas Sarkozy, Premierminister François Fillon und Arbeitsminister Eric Woerth erklärt, es werde trotz Streiks und Demonstrationen keine weiteren Zugeständnisse mehr geben. Ihre Selbstsicherheit oder gar Siegesfreude ist allerdings gespielt. Denn die Proteste flauten vor dem für den heutigen Samstag geplanten weiteren Aktionstag keineswegs ab.
Nach den Gewerkschaften und Linksparteien sind es jetzt vor allem die Mittelschüler, die sich mit eigenen Aktionen dem Widerstand gegen die Rentenreform anschließen. Die Vorbereitung läuft über Internet via Facebook, per SMS werden im Nu Klassenkameraden zu Streiks und Blockaden aufgerufen. In aller Frühe vor dem Unterrichtsbeginn werden so seit Dienstag immer die Zugänge zu mehreren hundert Schulen der Oberstufe blockiert. In zahlreichen Städten fanden Kundgebungen mit oft mehreren tausend Teilnehmern statt. Sie endeten manchmal mit gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei, die Tränengasgranaten und Gummigeschosse einsetzte. Im Pariser Vorort Montreuil traf ein solches "Flashball"-Geschoss einen 16-Jährigen am Kopf, er musste mit schweren Gesichtsverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der Polizeipräfekt ordnete daraufhin an, bis auf Weiteres dürfe diese Munition nicht mehr verwendet werden.
Die beiden Organisationen der Mittelschüler verwehrten sich gegen die Äußerungen mehrerer Regierungsvertreter, welche die Jugendlichen vor der "Gefahr" des Demonstrierens gewarnt und die politische Linke bezichtigt hatten, die Schuljugend zu manipulieren oder zu instrumentalisieren. "Wir sind weder Babys noch Marionetten", riefen am Freitag einige hundert Jugendliche unweit des Regierungspalasts Matignon. "Wir haben nicht nur die nächste Party im Kopf, wir denken auch über Themen wie Rente oder Arbeit nach, die uns angehen", sagte eine 17-jährige Mittelschülerin.
Die Welle der Proteste zeigt inzwischen Wirkung. Die Treibstoffproduktion in den zwölf Erdölraffinerien ist durch Streiks zum Erliegen gekommen. Zudem sind die Tore mehrerer Treibstoffdepots von Streikposten blockiert. Die Polizei räumte gestern ohne Zwischenfall vier solche Straßensperren, gleichzeitig wurden jedoch anderswo neue errichtet. Der Treibstoff wird knapp, vor allem auch, weil aufgrund von Streikaktionen in den Häfen von Marseille und Le Havre der Nachschub ausbleibt. In Marseille können seit mehr als zwei Wochen wegen eines Protests der Docker gegen eine Reorganisation ihrer Aktivitäten keine Frachtschiffe und Tanker mehr anlegen.
Zahlreiche Zapfsäulen an Tankstellen sind bereits leer, wegen Hamsterkäufen ist die Nachfrage doppelt so groß wie sonst. Die Regierung muss laut eigenen Angaben seit Donnerstag auf ihre Reserven zurückgreifen, um schlimmere Engpässe zu vermeiden.
Gestern haben sich die Gewerkschaften der Lastwagenfahrer der Bewegung abgeschlossen. Sie drohen der Regierung mit einem Chaos im Straßentransport. Im Anschluss an die heutigen Massendemonstrationen in 250 Städten haben die Gewerkschaftszentralen für Dienstag neue Streiks angekündigt, falls die Regierung nicht endlich zu Verhandlungen bereit sei.
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