Langsamer als die Kirche
SEXUELLE GEWALT Drei Jahre nach Merkels Regierungserklärung zum Missbrauch beklagt der unabhängige Beauftragte: „Noch nichts bei Opfern angekommen“
BERLIN taz | Wenn heute die drei federführenden Ministerinnen der Bundesregierung im Kampf gegen sexuelle Gewalt vor die Presse treten, kommen sie mit leeren Händen. „Von den beschlossenen Hilfen ist bisher nichts bei den Opfern angekommen“, sagte der unabhängige Beauftragte gegen sexuelle Gewalt, Johannes-Wilhelm Rörig, der taz. „Die Zeit drängt, die Wahlperiode läuft ab.“
Drei Jahre nachdem Kanzlerin Angela Merkel Missbrauch zu einer „Bewährung für die ganze Gesellschaft“ erklärt hat, sind zwei Kernstücke der Missbrauchspolitik noch nicht einmal diskutiert. Das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs, 2011 bereits als großer Durchbruch gefeiert, steckt immer noch im Rechtsausschuss des Bundestags fest. Dort wurde es, trotz vielfacher Aufforderung durch die Opposition, noch nicht ein einziges Mal behandelt. Das bedeutet: An den kurzen Verjährungsfristen, die sich regelmäßig zum Schaden der oft lange schweigenden Opfer sexueller Gewalt auswirken, ändert sich vorerst nichts – und nach einer Wahl verfallen alle nicht fertigen Gesetzesvorlagen.
Genauso ist es mit dem zweiten Kernstück der Missbrauchspolitik, dem 100 Millionen Euro großen Entschädigungsfonds, den der Bund zusammen mit den Ländern einrichten wollte. Bis heute gab es auf Minister- oder Ministerpräsidentenebene zwischen Bund und Ländern keine einzige Befassung mit dem Thema. Erst am gestrigen Dienstag, also buchstäblich in letzter Minute, kam das Bundeskabinett zusammen, um sich wieder einmal mit Missbrauch zu befassen. Das Ergebnis: Der Bund fordert die Länder auf, sich endlich zum Hilfesystem zu bekennen und die fehlenden 50 Millionen Euro in den Fonds einzuzahlen. Der runde Tisch gegen sexuellen Missbrauch will am heutigen Mittwoch den Stand diskutieren. Nimmt man es genau, hat die Bundesregierung damit weniger erreicht als die katholische Kirche. Die Kirche entschädigt bereits. CIF
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