Christianisierung: "Mehr Republik, weniger Religion"
Früher war er Sprecher der Bremer Sozialdemokraten, jetzt führt er die neuen "Laizisten in der SPD": Horst Isola fürchtet um die Trennung von Kirche und Staat.
taz: Herr Isola, während der Einheitsfeiern am 3. Oktober gab es einen Gottesdienst in Bremer Dom. Kein Mensch wurde zur Teilnahme daran gezwungen - trotzdem haben Sie sich darüber beklagt. Warum?
Horst Isola: Weil Religion und Politik hier vermischt werden. Die Landesverfassung sieht aber eine strikte Trennung von Kirche und Staat vor. Beide sollten sich nicht gegenseitig instrumentalisieren.
Wo geschieht dies denn?
Es gibt in letzter Zeit überall zu viel Religion: Bundespräsident Wulff verkündet, der Islam sei ,endlich in Deutschland angekommen', beim Bremer Rathaus-Dialog werden wichtige politische Themen mit Kirchenvertretern diskutiert, Spitzenpolitiker wie der Bremer Bürgerschaftspräsident Christian Weber behaupten einfach, Deutschland habe ,christlich-jüdische Wurzeln' und so weiter. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird die Rettung der chilenischen Bergleute als ,Wunder' oder Israel als das ,heilige Land' bezeichnet. All dies stört mich!
Zumindest die letzten zwei Punkte waren jetzt etwas kleinkariert ...
Die Häufung macht es. Diese Schraube wird immer mehr angezogen. Die Bischöfin Käßmann fordert, dass religiösen Themen in den Medien mehr Beachtung finden, der Historiker Paul Nolte fordert ganz offen einen "religionsfreundlicheren Staat". Alls das nimmt zu und genau dagegen stellen wir uns.
Allen Erhebungen zufolge schrumpft die Anhängerschaft der Kirche noch schneller, als die der SPD. Warten Sie es doch einfach ein paar Jahre ab!
Sie haben natürlich Recht, dass der Anteil der Konfessionslosen zunimmt. 1990 waren es 22 Prozent, 2025 sollen es an die 50 Prozent sein. Aber parallel dazu verschärfen die Funktionäre die Debatte und wollen mehr Religion haben.
71, Ex-SPD-Landesvorsitzender und bremischer Ex-Staatsrat ist Sprecher der "laizistischen Sozis".
Sie beobachten eine "schleichenden Re-Christianisierung". Glauben Sie nicht, dass man sich angesichts einer wachsenden Zahl von Moslems an das Christentum klammert, weil man aus Angst vor Überfremdung irgend etwas angeblich authentisch Deutsches behaupten will?
Das hängt eindeutig damit zusammen! Man will dem Islam bekämpfen, indem man mehr auf Christentum setzt. Das halte ich für falsch. Wir brauchen statt dessen mehr Aufklärung über das, was Religionen angerichtet haben. In der Geschichte waren sie häufig Brandstifter und Brandbeschleuniger. Der Kern unserer Verfassung, Menschenrechte und Demokratie, mussten gegen sie erkämpft werden.
Finden Sie, dass das immer noch so ist?
Ich sehe mit Sorge in die USA. Die Mischung aus Evangelikalen, der ,Tea-Party'-Bewegung und Halbfaschisten ebnete religiösem Fundamentalismus den Weg an die Staatsspitze. Politiker wie Ex-Präsident Bush berufen sich einfach auf Gott. Es gilt: Je mehr Religion, desto weniger demokratische Legitimation wird gebraucht.
Sind Sie Atheist?
Ja. Wie kann man nach Auschwitz noch an einen gerechten und gütigen Gott glauben?
Was fordern Sie konkret in Deutschland?
Zunächst sollten sich die Kirchen als Vereine organisieren und ihre Beiträge selbst eintreiben, statt dass der Staat für sie Steuern kassiert. In Schulen sollte es nur noch Ethikunterricht geben.
Wollen sie Muslima im öffentlichen Dienst das Kopftuch verbieten?
Das haben wir nicht gefordert, aber ich habe da Bedenken. Es ist ein religiöses Symbol in einem öffentlichen Raum.
Wie wurde ihre Initiative aufgenommen?
Wir haben die "Laizisten in der SPD" vor 14 Tagen in Berlin gegründet und schon über 600 Mitglieder. Uns ist wichtig, dass wir keinen Kulturkampf führen. Wir wollen den Dialog. Deswegen laden wir auch Christen und Theologen ein. Denn es geht uns nicht gegen die Kirche, die respektieren wir, sondern nur um ihre Trennung vom Staat! Mehr Republik, weniger Religion.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Geschlechtsidentität im Gesetz
Esoterische Vorstellung
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod