Behindete protestieren: S-Bahn: Nicht mit Rollstuhl

Behindertenverbände kündigen Widerspruch gegen die Bremer S-Bahn an: Für RollstuhlfahrerInnen gibt es in den neuen Zügen der Nordwestbahn viele Barrieren

Mit Rollstuhl kaum Durchkommen: Der Weg zu den Behindertenplätzen in den neuen S-Bahn-Zügen Bild: Michael Bahlo

Es sollte ein beschaulicher Termin werden: Ihre nagelneuen S-Bahn-Wagen wollte die Nordwestbahn am Dienstag vorführen, die ab Mitte Dezember an den Start gehen. Am Bremer Hauptbahnhof allerdings warten keine gespannten EisenbahnliebhaberInnen, sondern verärgerte RollstuhlfahrerInnen.

Sie bemängeln die Barrierefreiheit der Züge und kündigen an, Widerspruch gegen den Betrieb der S-Bahn einzulegen. Wird nicht nachgebessert, wollen die Behindertenverbände "SelbstBestimmt Leben" und die "Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe" ihr Verbandsklagerecht nutzen.

An vielen Haltestellen der künftigen "Regio-S-Bahn Bremen/Niedersachsen" kommen RollstuhlfahrerInnen erst gar nicht in den Zug hinein: Zwar haben die Wagen so genannte Niederflureinstiege, doch nur etwa die Hälfte der Bahnsteige hat die erforderliche Höhe, um diese auch nutzen zu können. Im Zug selbst schaffen es RollstuhlfahrerInnen nur mit größter Mühe zu den für sie vorgesehenen Plätzen: Rechts Klappsitze, links die Außenwand der Toilette, im vollbesetzten Zug "muss man eine ganze Reihe Leute bitten, aufzustehen, um durchzukommen", erklärt Horst Frehe, Mitbegründer der Selbstbestimmt Leben-Bewegung und Grünen-Bürgerschaftsabgeordneter.

Für ihn sind das klare Verstöße gegen die EU-Norm zur Barrierefreiheit im Schienenverkehr. Denn die, so Frehe, sieht vor, dass RollstuhlfahrerInnen uneingeschränkt zu ihren Plätzen fahren können. Und er sollte das wissen: Frehe hat die rechtliche Definition von Barrierefreiheit verfasst, für Land, Bund und die EU.

Schwachstellen müsste es bei der S-Bahn aus seiner Sicht nicht geben: Bereits vor der Ausschreibung des Netzes 2007 hatten der Landesbehindertenbeauftragte, die Verbände, Frehe und das in Bremen zuständige Bauressort ein Konzept zur Barrierefreiheit erarbeitet. Zur Anhörung hatte auch die Nordwestbahn geladen, die von Bremen und Niedersachsen den Zuschlag für das 500 Millionen Euro schwere Projekt bekommen hatte. Den besprochenen Lösungen entsprechen die Züge allerdings nicht. "Veräppelt" fühlen sich die Behinderten angesichts dessen, so Frehe.

Die Nordwestbahn selbst weist die Vorwürfe von sich: "Sehr viel Mühe" habe man sich gegeben, die Betroffenen früh eingebunden, sagt Geschäftsführer Martin Meyer-Luu beim Vorführtermin. Einer Klage blicke er "neutral" entgegen: Vom Eisenbahnbundesamt nach EU-Norm zugelassene Züge habe der Hersteller der 35 Wagen im Gesamtwert von 140 Millionen Euro geliefert. Und für die Verbesserung der Infrastruktur - sprich die Barrierefreiheit an den Haltestellen - sei die Deutsche Bahn zuständig. "Die Nordwestbahn hat alle formellen Anforderungen erfüllt", erklärt Meyer-Luus.

Darauf beruft sich auch das Bremer Bauressort: "Wir haben wenig Handhabe, wenn Verfahren wie die Zulassung eingehalten sind", sagt Sprecher Michael Ortmanns. Man habe aber bei der Nordwestbahn sehr auf möglichst viel Barrierefreiheit gedrungen. Und verglichen mit anderen Zügen sei die neue S-Bahn "eine große Verbesserung".

Den Behinderten reicht das aber nicht. Von einem "unanständigen Verfahren", spricht Horst Frehe, "wir wurden hier nicht vergessen, man hat sich bewusst gegen uns entschieden".

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