piwik no script img

AntifaTausende gedenken Neonazi-Opfer

Mehr als 3.000 Menschen gehen zur Silvio-Meier-Gedenkdemo. Die Proteste gegen Nazigewalt verlaufen weitgehend friedlich. Erst am Ende kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und Polizei.

Traditionelle Antifa-Optik, aktuelles Thema: Gedenkmarsch am Samstag Bild: dapd

Die Frauen geben den Ton an: "Schießt den Nazis in den Hoden! Deutsches Blut auf deutschem Boden", tönt es aus den ersten Reihen. Es ist kein Zufall, dass bei der Silvio-Meier-Demo am Samstag in den ersten Reihen nur Frauen marschieren. Die Veranstalter wollen tradierten Geschlechterrollen bei Protestveranstaltungen entgegenwirken.

Das offizielle Motto der Demo lautet indes: "Kampf den Nazis, Kampf dem Staat". Mit der jährlichen Kundgebung erinnert die linke Szene an den Antifaschisten und Hausbesetzer Silvio Meier, der vor 18 Jahren in Friedrichshain von Neonazis niedergestochen wurde. Der Protestzug zählt zu den Höhepunkten im Terminkalender der Berliner Antifas. Diesmal haben Nico Nussinger vom Silvio-Meier-Bündnis zufolge 3.500 Menschen demonstriert, die Polizei geht von 3.000 Teilnehmern aus - das wären immer noch 50 Prozent mehr als im Vorjahr.

Um 15 Uhr versammeln sich die die Nazigegner an der U-Bahnstation Samariterstraße, dort, wo Silvio Meier ermordet worden ist. Vermummte zünden auf einem Dach gegenüber der Bahnstation Feuerwerksraketen und Bengalfeuer. Die Route führt kreuz und quer durch Friedrichshain, zwischendurch gibt es antifaschistischen Geschichtsunterricht. Ein paar Teilnehmer haben Regenschirme mitgebracht - sie wollen die Polizei daran hindern, sie zu filmen. Denn die Einsatzkräfte halten die Videokameras ständig am Laufen. Das sei nicht rechtens, kritisieren später die Kritischen JuristInnen von der Freien Universität, die das Vorgehen der Polizei beobachten.

Als der Zug in der Gubener Straße hält, bilden sich im Supermarkt schnell lange Schlangen - die Demonstranten versorgen sich mit Proviant. Draußen klärt ein Redner über Zwangsarbeit im Dritten Reich auf. Die Polizei hält sich überwiegend im Hintergrund, auch die Demonstranten bleiben friedlich: Sie halten sich an die geänderte Route, nachdem die Beamten den ursprünglich geplanten Weg an einer Polizeistation vorbei untersagt hatten. Der Weg dorthin ist mit Fahrzeugen versperrt.

Als die Dunkelheit hereinbricht, wird die Stimmung angespannter. Nun sind nicht mehr nur Frauen an der Spitze, statt dessen drängen sich Autonome nach vorn und geben den Ton an. In der Schreinerstraße lösen die Veranstalter die Demo auf Höhe Samariterstraße vorzeitig auf. Die Autonomen aber machen weiter: Sie rennen in die Samariterstraße, wo sich keine Polizei befindet, und zünden Böller. Einsatzkräfte eilen hinterher, es kommt zu Handgreiflichkeiten. In der Rigaer Straße fliegen Flaschen. Sie verfehlen unbeteiligte Passanten sowie eine Fotografin nur knapp. Auf der Kreuzung Rigaer/Samariterstraße kreist die Polizei die Demonstranten nach langem hin und her schließlich ein.

Die Polizei fordert mehrfach auf, den Platz zu räumen. Als nach einer halben Stunde nichts geschieht, schickt sie ein Antikonflikt-Team vor. Immer wieder kommt es zu Handgreiflichkeiten zwischen den Linken und der Polizei. Die Juristen von der FU sprechen von unnötiger Polizeibrutalität. Erneut fliegen Flaschen.

Am Ende hat die Polizei 17 Demonstrationsteilnehmer festgenommen. Sieben Einsatzkräfte werden durch Stein- und Flaschenwürfe leicht verletzt. Die Festgenommenen müssen unter anderem mit Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, versuchter Gefangenenbefreiung sowie Sachbeschädigung und Körperverletzung rechnen. Insgesamt zieht die Polizei dennoch die Bilanz: Es war friedlich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • D
    denninger

    Waren die "kritischen JuristInnen" (sic!) denn auch den "Autonomen" und deren Straftaten (tätlicher Angriff, Körperverletzung, Sachbeschädigung ...) gegenüber "kritisch"?

    Denninger, sich diese ironische Frage nicht verkneifen könnend

  • O
    Olli

    Mir geht nicht in den Kopf, dass eine demo erlaubt wird, die den Kampf gegen den Staat im Motto hat.

     

    Mir ist scheißegal ob links oder rechts, bei solchen Sprüchen hört für mich demokratisches Verständnis auf. Dass hier Staatsfeinde ihre Meinung öffentlich äußern dürfen, ist eine Schweinerei ohnes gleichen!!!!

  • K
    Karsten

    @Stefan

     

    Ich bin zwar nicht der Anwohner aber ein geschlossener Zug mit martialischem Auftreten läd nicht zum mitgehen ein. Wobei das Spektrum relativ bunt war, die meisten hatten halt einfach nur schwarze Klamotten an und es war dunkel...

     

    Und der Müll, ich tippe mal als Anwohner wird er schon wissen wie es sonst Samstag um die Uhrzeit aussieht...

     

    Unsere Demonstrationen haben sowieso ein derbes Müllproblem, die Schiene nachm Castortransport sah aus als wäre ein Mülllaster mit offener Rückklappe drüber gefahren, in Dresden zu den Sitzblockaden auch so, kann ich nicht wenigstens meinen eigenen Dreck wieder mitnehmen??

  • AL
    Antifa Leipzig

    @Stefan

    Statt über Kritik, die von außen in den isolierten Szenesumpf hereingetragen wird, nachzudenken, stellst du dich unwissend. Das ist ganz schwach. Ich denke, du weißt ganz genau, was gemeint ist. Natürlich hat mensch beim Anblick einer uniformierten kraftvoll auftretenden Masse bestimmte Assoziazionen. Die Farbe oder die Brille ist dabei völlig wurscht. Übrigens gab es auch schwarze Uniformen bei den Nazis. Ich bin sicher, du weißt genau, wer die getragen hat.

    Ganz zu schweigen von der Sache mit dem Müll. Ich war selbst oft genug auf Demos um zu wissen, wie es dort hinterher aussieht und war froh, dass nicht die Organisator_Innen sondern die Stadtreinigung ran muss. Über die Außenwirkung dessen habe ich ehrlich gesagt vorher nie nachgedacht. Ein_e Anwohner_in wird sicher auch den Vergleich zu nicht-Demo-Tagen haben. Wenn da plötzlich nach einer Demo alles vermüllt ist, ist das sicher nur ein dummer Zufall. Alles klar.

    solidarische Grüße aus Leipzig

    Ein bisschen Reflektion hat noch nie geschadet.

  • SA
    Stefan @ Anwohner

    Soso, der schwarze Block erinnert dich also an die Nazis? Mir ist neu, das sich Nazis auf ihren Aufmärschen damals Kapuzen und Sonnenbrillen aufgesetzt haben. Wenn ich richtig informiert bin, trugen die damals braune Hemden. Und wegen dem Müll: Sonst hast du keine Probleme, oder? Wer sagt außerdem, dass dieser Müll von den Demonstranten stammt?

  • C
    Claudia

    Kampf dem Staat! ??

    Sagen das dieselben Menschen, die immer dann ganz laut nach dem Staat rufen, wenn mal wieder eine_r ihrer Genoss_Innen von Nazis halb Tod geschlagen wird?

    Ich erinnere z.B. an einen Genossen namens Jonas. Der überlebte im Juli 2009 am Ringcenter in Berlin einen Naziangriff dank des schnellen Erscheinen des Staates in Form von Polizisten. Seine 9(!!) Freunde, mit denen Jonas damals unterwegs war, hatten sich übrigens ganz schnell aus dem Staub gemacht und ihren Genossen allein zurückgelassen (in der Hoffnung auf Hilfe durch den Staat?).

  • S
    Schorsch

    "Als der Zug in der Gubener Straße hält, bilden sich im Supermarkt schnell lange Schlangen - die Demonstranten versorgen sich mit Proviant."

     

    Mit Alk wohl eher oder?

  • AL
    Antifa Leipzig

    Die Szene in Berlin sollte endlich mal darüber nachdenken, was sie eigentlich erreichen will. Sich selbst feiern nach dem Motto: Die Bengalos auf den Dächern waren ja sooooo schööön und die Demo soooo kraftvoll. Oder Menschen außerhalb des kleinen Szenesumpfes eine Botschaft vermitteln. Zweiteres wird mit den martialischen aggresiven Auftritten bei solchen Demos garantiert nicht erreicht.

  • A
    Anwohner

    An sich ist es ja kein Problem, wenn die jungen Menschen ihre Meinung auf die Straße tragen. Ob es nun wie auf Fotos zu sehen, in diesen angsteinfößenden schwarzen Uniformen (die starkt an die dunklen zeiten unserer Geschichte erinnern) sein muss, ist wohl Geschmackssache. Eine Sache ist aber keine Geschmackssache. Ich habe selbst nichts von der Demo mitbekommen, war aber am Abend geschockt, als ich an der U-bahn Samariterstraße vorbeilief. Im Umkreis von 50 Metern sah es aus wie auf einer Müllhalde! Das sagt schon einiges über die Erziehung und Kultur. Mein Hinweis: Wenn jemand die Welt verbessern will, sollte er bevor er in großen politischen Dimensionen schwebt, erstmal im Kleinen vor der eigenen Haustür beginnen. Den eigenen Müll nach einer Demo wegräumen wäre da ein guter erster Schritt.

  • AP
    antisexistischer Pazifist

    Ist diese Geschlechtertrennung im Demonstrationsblock nicht ziemlich sexistisch? Dabei tut doch die radikale Linke immer so antisexistisch, emanzipatorisch.

     

    An der Einschätzung der Polizei: "Es war friedlich" angesichts durch Flaschenwürfe verletzter Menschen, zeigt, wie verroht die Gesellschaft mittlerweile ist. "Nur" ein paar Verletzte wird schon als Erfolg gefeiert. Solange nicht wie am 1. Mai 2009 Menschen brennen, hält man die Situation schon für "friedlich". Totale Werteverschiebung - das ist krank!

  • G
    grrrr

    Hallo Autor, du hast es einfach nicht verstanden! Du schriebst:als die Dunkelheit hereinbricht, wird die Stimmung angespannter. Nun sind nicht mehr nur Frauen an der Spitze, statt dessen drängen sich Autonome nach vorn und geben den Ton an.???

    Die Frauen* sind auch Autonome.Damit hast du dich komplett disqualifiziert, weil du den Hintergrund nicht verstanden hast, warum in den ersten Reihen nur Frauen * sein sollten !!

  • F
    Fanny

    Lieber Martin,

    Mit Freude hab ich die im Vergleich positive Presseberichterstattung der diesjährigen Silvio Meier Demo wahrgenommen. Sogar in den "Mainstreammedien" - Zu denen ich die taz nur bedingt zähle. Aber was ich hier vorgefunden hab hat mich doch deutlich enttäuscht. Du selbst reproduzierst sexistische Rollenbilder in dem du die "lieben Frauen" von den "männlichen Autonomen" verdrängen lässt. Denkst du wir sind keine Autonomen? Denkst du wir sind Pazifisten? Denkst du ich stehe nicht Seite an Seite mit meinen männlichen Genossen und glaubst du wir tun nichts außer notwendiger antisexistische Aufklärung? Denk mal nach was du hier reproduzierst. Ganz zu schweigen von deinem Autonomenbashing.. Du wusstest doch schon vorher was du im Artikel unterbringen willst.

     

    Fanny

  • K
    Karsten

    Beim nächsten mal vieleicht weniger Silvesterstimmung und mehr lautstarke Demonstration. Insgesamt zieh ich aber ein positives Fazit, viele Leute, relativ buntes Spektrum, kaum Polizei und selbst am Ende relativ wenig Stress.