Nach den Wahlen in Weissrussland: Ein Land in Aufruhr

Knapp 80 Prozent für Lukaschenko bei den Präsidentschaftswahlen. Sagt Lukaschenko, "der letzte Diktator Europas" - und lässt jene, die ihm nicht glauben, verprügeln und verhaften.

Polizeisondereinheiten sichern am Sonntag Regierungsgebäude in Minsk vor heranstürmenden Demonstranten. Bild: dapd

Weißrussland stehen weitere vier Jahre autokratischer Herrschaft unter Staatspräsident Alexander Lukaschenko bevor. Am Sonntag erreichte "der letzte Diktator Europas" zumindest nach offiziellen Angaben der Zentralen Wahlkommission 79,67 Prozent der Stimmen und verschaffte sich so seine vierte Amtszeit. Die übrigen neun Konkurrenten landeten allesamt im einstelligen Bereich.

Nach Einschätzung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat dieses Ergebnis mit einer demokratischen Wahl nichts zu tun. Die OSZE kritisierte am Montag, dass es erhebliche Unregelmäßigkeiten bei der Wahl gegeben habe. Vor allem die Stimmenauszählung sei "schlecht bis sehr schlecht" verlaufen. Tony Lloyd, führendes Mitglied der OSZE-Mission, sagte, er erwarte "von der Regierung Rechenschaft wegen der Verhaftung von Präsidentschaftskandidaten, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten". Lukaschenko reagierte demonstrativ unbeeindruckt. Die Ereignisse nach der Wahl gingen die OSZE-Beobachter nichts an. "Was hat das, was am Abend passierte, mit der Wahl zu tun?", fragte er auf einer Pressekonferenz. "Die Wahl war vorüber." Bereits am Sonntag hatte er der Opposition gedroht: "Um zu wissen, was die Demonstranten erwartet, genügt es, unsere Gesetze zu lesen. Aber seien Sie unbesorgt, heute Am Abend wird niemand auf dem Oktoberplatz sein."

Doch es kam anders: Unter Rufen wie "Für Freiheit!", "Nieder mit Lukaschenko!" oder "Nieder mit dem Gulag!" zogen am Abend rund 40.000 Demonstranten ins Zentrum der Hauptstadt Minsk, um ihren Unmut über die ihrer Meinung nach gefälschten Wahlen zum Ausdruck zu bringen. Es war die größte oppositionelle Kundgebung seit 1996. Als einige tausend aufgebrachte Lukaschenko-Gegner versuchten, ein Regierungsgebäude zu stürmen, gingen Sicherheitskräfte und Polizisten mit äußerster Brutalität gegen die Demonstranten vor. Dabei wurden Dutzende von Protestierenden verletzt und hunderte festgenommen. Gerüchten zufolge soll eine Person getötet worden sein, als die Massen vor den prügelnden Polizisten in eine U-Bahn-Station zu flüchten versuchten.

"Ich glaube, das die Staatsmacht die Gewalt provoziert hat. Dabei hat es unter den Demonstranten keine Aufrufe zu Gewalt gegeben", sagte die weißrussische Menschenrechtlerin Olga Karatsch der taz. Unter den Festgenommenen sind auch sieben von Lukaschenkos Gegenkandidaten. Einer von ihnen, der Schriftsteller Wladimir Neklajew, war bei der Kundgebung krankenhausreif geprügelt und laut Angaben seiner Frau später gewaltsam aus einem Krankenhaus verschleppt worden. Wo er sich derzeit aufhält, ist nicht bekannt. Verschleppt wurde auch die regierungskritische Journalistin Irina Chalip. Polizisten führten sie ab, als sie gerade dem russischen Radiosender Echo Moskwy ein Interview gab. Chalip ist die Ehefrau des Präsidentschaftskandidaten Andrei Sannikow, der am Sonntag ebenfalls zusammengeschlagen und festgenommen wurde. Von Chalip fehlte am Montag jede Spur.

Aber auch andere Regierungskritiker fielen dem gewalttätigen Einsatz der Sicherheitskräfte zum Opfer. So wurde der Vorsitzende des weißrussischen Helsinki-Komitees und Leiter der Kampagne Menschenrechtler für freie Wahlen, Aleh Hulak, festgenommen. Sein Büro wurde beim einem Überfall in der Nacht zum Montag komplett verwüstet, die technischen Geräte wurden beschlagnahmt. Auch zwei Mitarbeiter des Menschenrechtszentrums Wjasna wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen. Gestern waren die Internetseiten mehrere oppositioneller Organisationen blockiert.

"Das Vorgehen Lukaschenkos zeigt, dass er von der Mehrheit nicht mehr unterstützt wird. Deshalb bleibt ihm nicht anderes übrig, als auf Gewalt zu setzen", sagt Olga Karatsch. Aber davon werde sich die Opposition nicht einschüchtern lassen.

Seine Gegner verunglimpfte der alte und neue Staatspräsident am Montag in altbewährter Manier und bezeichnete sie als "Vandalen". Eine Revolution, so Lukaschenko, werde es in Weißrussland nicht geben.

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