Ghana-Patenschaften für Weiße: Wärme aus der Ferne

Einsame Europäer lassen sich von afrikanischen Großfamilien adoptieren. Was als Kunstprojekt gedacht war, wurde praktisch umgesetzt. Ein Gespräch mit der Künstlerin Gudrun Widlok.

Afrikanische Familie mit Foto ihres Paten. Bild: hanfgarn und ufer

taz: Frau Widlok, Adopted vermittelt familiär bindungslosen, erwachsenen Europäern Pateneltern in Afrika. Wie kam es zu diesem Projekt?

Gudrun Widlok: Es ist eigentlich ein Kunstprojekt. Es war anfangs nicht mein Ziel, dass es real werden sollte. Ich hatte mir überlegt, ob es eine Umkehrung geben kann, was Patenschaften angeht, für die überall in der Stadt geworben wird. Bei Ausstellungen und Festivals habe ich ein Büro installiert, wo ich drinsaß und wo ich mich als Vermittlerin ausgegeben habe. Als jemand, der glaubt, er müsse den armen Europäern helfen, dass sie in einer Familie aufgenommen werden. Mir ging es um die Idee. Darum, etwas zu behaupten, das die Zuschauer, das Publikum dem Moment der Irritation aussetzt. Sie müssen überlegen, stimmt es oder stimmt es nicht. Das reizt mich. Der Kunstrahmen macht es mir möglich, so was zu behaupten. Doch es kamen immer mehr reale Anfragen. Die Leute wollten wissen, wie und wo sie sich für eine Adoptivfamilie in Afrika bewerben könnten.

Wie haben Sie geantwortet?

Klar geht es, aber ich kann nichts versprechen.

Die Protagonisten im Film zum Projekt: die 20jährige Isländerin mit ihren afrikanischen Geschwistern. Bild: hanfgarn und ufer

Warum haben Sie sich darauf eingelassen? Sie hätten ja auch sagen können, das ist ein Kunstprojekt.

Für mich war das eine Performance, auf die ich mich immer weiter eingelassen habe. Ich machte ein Foto von den Personen, und sie füllten einen Bewerbungsbogen aus. Dass es Kunst war, hat ja schon der Rahmen der Kunstausstellung gezeigt. Dieser Rahmen hat mir erlaubt, das Spiel weiterzuführen und einfach zu schauen, was passiert. Ich habe die Interaktion mit dem Publikum einfach weitergeführt.

Mittlerweile ist Adopted kein reines Kunstprojekt mehr, sondern Realität.

Die Protagonisten im Film zum Projekt: ein 40jähriger Berliner mit seinen afrikanischen „Brüdern“. Bild: hanfgarn und ufer

Ja. Ich war 2003 in Ouagadougou in Burkina Faso eingeladen. Von jemandem, der von dem Projekt gehört hat. Er wollte das Projekt dort in seinem Kultur- und Yogazentrum ausstellen, weil er schon mit vielen Freunden über dieses Thema gesprochen habe. Zunächst gab es Gelächter. Es war eine Mischung aus Schadenfreude, dass den Europäern auch etwas fehlt, und Freude über echtes Interesse. Dutzende Familien waren sofort bereit mitzumachen. Anhand der Fotos suchten sie sich jemanden aus. Sogar eine örtliche Zeitung berichtete darüber. Dann kamen afrikanische Familien, die sofort helfen wollten.

Und weil diese Familien aus Burkina Faso sich bereit erklärt haben, Patenschaften zu übernehmen, ist aus der Fiktion Realität geworden?

Ja, zwei Jahre später war ich zu Gast in Ghana und habe das Projekt Studenten vorgestellt. Und auch dort war die Resonanz gleich da, das Projekt praktisch umzusetzen. Ich bin seither selbst oft in Ghana.

„Menschen in Europa, denen es materiell und beruflich gut geht, die aber durch ihren individuellen Lebenswandel kein Familienleben führen, können sich bewerben,“ schreiben Sie. Wie hoch ist die Nachfrage?

Ich habe von meiner letzten Ausstellung wieder sehr viele Bewerber mitgebracht. Mit den Bildern und Bewerbungsbögen fahre ich jetzt nach Ghana. Es gibt schon einige, die von Familien dort ausgesucht wurden.

Wie wird die Verbindung zur Familie gehalten?

Es gibt welche, die schon seit 2002 mit einer Familie in Kontakt stehen. Es gibt Leute, die schreiben sich, andere telefonieren. Manche wissen nur, dass sie den Kontakt haben, manche fahren hin. Wie die Verbindung gestaltet wird, weiß ich nicht im Einzelnen. Ich bin keine Organisation.

Und wollen auch keine sein?

Nein. Ich bin Künstlerin. Und ich möchte wieder andere Geschichten erzählen. Meine Idealvorstellung ist, dass das Projekt öffentlich gefördert wird, denn dass das Projekt den Kunstrahmen verlässt, ist seit zwei Monaten sehr aktuell. Ich habe die Organisation an jemanden in Accra abgegeben. Er möchte das Projekt weiterführen. Er wird sich dort um Familien kümmern. Das ist wunderbar.

Was war das Spannendste für Sie bei diesem Projekt?

Dass meine Vision tatsächlich aufgegriffen wird. Das war ein schöner Moment herauszufinden, dass dies tatsächlich die Möglichkeit bietet, mit Leuten in Kontakt zu kommen, aus unterschiedlichen Kulturen, aber auf einer sehr persönlichen Ebene.

Sie haben einen Film über das Projekt gedreht, der im Frühjahr gezeigt werden soll.

Ja. Dazu sind wir mit drei unterschiedlichen Charakteren exemplarisch nach Ghana gefahren: einer Isländerin Anfang 20, einem Berliner um die 40 und einer Schwäbin um die 70. Alle haben an dem Projekt aus ganz unterschiedlichen Gründen teilgenommen. Sie sind symbolisch adoptiert worden. Wir begleiten alle drei auf dem Weg nach Ghana zu ihren Familien und beobachten, was passiert. Der Film ist der Versuch, die Utopie zu bebildern.

Was ist denn Ihre Utopie?

Ich arbeite mit Klischees und mich interessiert, wo das Klischee bricht. Für mich liegt die Utopie darin, von einem sehr kleinen Ausgangspunkt tatsächlich viele Menschen anzusprechen. Das Thema Begegnung beschäftigt Menschen. Und ich finde es spannend, herausgefunden zu haben, dass trotz aller Unterschiede am Ende des Tages alle zusammensitzen wollen mit der Familie und darüber plaudern, was am Tag passiert ist. Das ist symbolisch: Eigentlich wollen wir doch alle nur in Frieden zusammensitzen und ein bisschen plaudern. Ganz einfach.

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