Offener Brief an Ahmadinedschad: Solidarität mit inhaftierten Filmemachern
Der Filmemacher Rafi Pitts ruft alle Beschäftigten in der Filmindustrie zur Unterstützung ihrer KollegInnen im Iran auf. Am Jahrestag der Revolution soll die Arbeit niedergelegt werden.
In Solidarität mit Dschafar Panahi und Mohammed Rasoulof möchten wir alle FilmemacherInnen und alle Mitglieder der Filmindustrie einladen: Unterstützt unabhängig von Eurem Land oder irgendwelchen Grenzen, unabhängig von Religion oder Politik Eure Kollegen und Kolleginnnen im Iran. Legt am 11. Februar 2011 von 15 bis 17 Uhr (Teheraner Zeit) die Arbeit nieder. Es ist der Jahrestag der iranischen Revolution.
An Herrn Ahmadinedschad,
1979 fand eine Revolution statt. Tatsächlich feiern wir am 11. Februar 2011 das 32. Jubiläum der iranischen Revolution. Der Grund, warum ich Sie daran erinnern möchte, ist folgender: Ich habe den Eindruck, Sie haben vergessen, warum das alles passiert ist. Vielleicht irre ich mich, vielleicht müssten Sie sich einfach erklären. Vielleicht haben Sie Ihre eigene Definition von unserer Revolution. In diesem Falle sollten Sie die Frage beantworten: Warum hatten wir 1979 eine Revolution, was glauben Sie?
Es ist auch an der Zeit, dass Sie klarstellen, warum Sie FilmemacherInnen weggesperren lassen. Was sind Ihre Gründe dafür, im Namen der Revolution ein Leben zu beenden, eine Karriere? Vielleicht stelle ich die falschen Fragen: Vielleicht dreht sich alles nur um Ihre Wiederwahl?
Ein sehr enger Freund, Dschafar Panahi, einer der wichtigsten Regisseure, den ich als Person absolut respektiere und dessen Filme ich bewundere, wurde von Ihrer Regierung verhaftet, mit Ihrem Gesetz. Er wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er die Absicht hatte, einen Film zu machen. Sechs Jahre, weil man einen Film drehen möchte, sechs Jahre Haft für eine Idee. Und als ob das nicht reicht, habt Ihr ihm auch noch zwanzig Jahre Berufsverbot erteilt und die Reisefreiheit genommen. Während der nächsten zwanzig Jahre darf Panahi seine Heimat nicht mehr verlassen.
Ein anderer wichtiger junger Filmemacher, Mohammed Rasoulof, wurde mit derselben Strafe belegt. Sein Verbrechen: Er hat mit Dschafar zusammengearbeitet.
Rafi Pitts, der Filmemacher präsentierte seinen regierungskritischen Film "Zeit des Zorns" 2010 auf der Berlinale im Wettbewerb. Er kehrte nach dem Festival nicht mehr nach Teheran zurück und lebt heute in Paris.
Beide wurden bestraft,weil sie für ihren Kollegen eingestanden haben. Weil sie die Ereignisse von Juni 2009 verstehen wollten. Weil sie um die Toten trauerten, die der Konflikt während der Wahlen gefordert hat. Dabei - muss ich Sie daran erinnern? - hatten alle Kandidaten die offizielle Erlaubnis, an der Präsidentschaftswahl teilzunehmen. Die Entscheidung der Wähler war eindeutig und sie war absolut legal. Dschafar Panahi und Mohammed Rasoulof haben gemeinsam mit der Mehrheit der Filmindustrie ihre Entscheidung getroffen. Und daraus wurde die Grüne Bewegung. Wir hatten das Recht dazu. Wir haben legal gehandelt.
Glauben Sie, es ist falsch, wissen zu wollen, warum Menschen während unserer letzten Wahl ihr Leben verloren haben?
Glauben Sie wirklich, unser Land weiß nichts von der Gewalt, die durch die offiziellen Wahlergebnisse verursacht wurde?
Ist es ein Verbrechen, dass Panahi einen weiteren Film drehen möchte?
Ist es ein Verbrechen, dass Rasoulof die Realität befragt?
Oder dass Filmemacher der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten?
Fürchten Sie eine Ansicht, die Ihrer widerspricht? In diesem Falle, bitte antworten Sie auf meine Frage: Warum hatten wir eine Revolution?
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott