Mit Schließung von Stammwerk gedroht: Fiat-Arbeiter erpresst

Weniger Pause, flexiblere Arbeit, eine große Gewerkschaft ganz raus. Belegschaft beschließt Verschlechterungen, nachdem Fiat-Boss mit Werksschließung gedroht hatte.

Vor dem Stammwerk Mirafiori am 14.1.2011. Bild: dpa

Mit einer Mehrheit von knapp 55 Prozent stimmten die Fiat-Beschäftigten des Turiner Stammwerks Mirafiori für einen Tarifvertrag, der in einigen Punkten deutliche Verschlechterungen mit sich bringt. Das Ja kam nur deshalb zustande, weil Fiat-Boss Sergio Marchionne offen damit gedroht hatte, im Falle der Ablehnung werde Mirafiori geschlossen und perspektivisch die gesamt Fiat-Autoproduktion in Italien eingestellt.

Der am 23. Dezember unterzeichnete Tarifvertrag sieht vor, dass die Pausen während der Achtstundenschicht nicht mehr 40, sondern nur noch 30 Minuten dauern. Außerdem werden die Arbeitszeiten wesentlich flexibler gestaltet: Wenn die Firma will, kann sie die Beschäftigten an vier Tagen hintereinander bis zu zehn Stunden arbeiten lassen und sie kann Überstunden und Samstagsarbeit anordnen. Wird der Krankenstand zu hoch, werden die ersten beiden Krankheitstage nicht mehr bezahlt, sofern sie auf Tage nach den Ferien oder andere Ruhetage folgen. Weiterhin wird das Streikrecht drastisch eingeschränkt: Den Arbeitnehmern droht Kündigung, den Gewerkschaften der Entzug der Freistellungskontingente für ihre Betriebsdelegierten.

Noch wichtiger aber ist ein weiterer Punkt: Jene Gewerkschaften, die den Vertrag nicht unterzeichnen, sind raus aus dem Unternehmen. Ihre Kandidaten dürfen sich nicht mehr als Arbeitnehmervertreter zur Wahl stellen - aber Wahlen sind sowieso abgeschafft : In Zukunft werden jene Gewerkschaften, die Ja zum Vertrag gesagt haben, ihre Vertreter im Betrieb direkt von oben nominieren.

Raus ist damit Italiens größte Metallergewerkschaft, die Fiom. Anders als vier andere Gewerkschaften wollte sie ein Abkommen nicht abzeichnen, das in ihren Augen "Sklavenverhältnisse" in der Fabrik einführt und ein pures Diktat darstellt. In der Tat hatten Verhandlungen nicht stattgefunden: Marchionne hatte einfach seinen Forderungskatalog auf den Tisch gelegt, flankiert mit seiner Schließungsdrohung.

Die vier unterzeichnenden Gewerkschaften sind der Auffassung, sie hätten die "Zukunft von Fiat in Italien gesichert". Schließlich habe Marchionne im Falle eines Ja in der Urabstimmung sofort 1 Milliarde Euro Investitionen für Mirafiori und mittelfristig die gigantische Summe von 20 Milliarden für die italienischen Werke zugesagt.

Sicher ist bisher aber nur, dass der Fiat-Chef im Pullover neue, raue Sitten in die italienischen Arbeitsbeziehungen einführt. An "zu hohen" Löhnen kann das nicht liegen: Fiat-Arbeiter tragen mit im Schnitt 1.200 Euro netto deutlich weniger als etwa ihre Kollegen von VW nach Hause. Auch ist Mirafiori weder für hohe Krankenstände noch für ausufernde Streiks bekannt. Marchionne ging es vor allem ums Prinzip: Er will offenbar den US-Investoren demonstrieren, dass er der absolute Herrscher in seinen Fabriken ist. Schließlich ist Fiat an Chrysler mit 25 Prozent beteiligt und strebt dort die Mehrheit an, wofür das Unternehmen Milliarden vom Kapitalmarkt braucht.

Marchionne ist seit 2004 Fiat-Chef und hat seit dem Einstieg bei Chrysler einen radikalen Wandel durchlaufen. Früher war er ein Mann, der den gewerkschaftlichen Dialog über den grünen Klee lobte und es für "ausgeschlossen" hielt, in Europa Arbeitsbeziehungen nach US-Muster einzuführen. Jetzt gibt er den Hardliner. Doch ob den Fiat-Arbeitern das ihnen abgepresste Ja nützt, steht in den Sternen. Zum Beispiel die Überstunden: Kaum ist das Abkommen abgesegnet, werden die Mirafiori-Leute erst einmal fürs ganze nächste Jahr auf Kurzarbeit gesetzt. Fiat verkauft zu wenig - und deutlich schlechter als die Konkurrenz. Im letzten Jahr brachen die Autoverkäufe in Europa um knapp 5 Prozent ein - Fiat verlor zusammen mit den zum Konzern gehörenden Marken Alfa und Lancia 17 Prozent. Der Grund: Die von Marchionne noch vor einigen Jahren vollmundig versprochenen "20 neuen Modelle" blieben aus. Zudem fehlt dem Turiner Konzern die kritische Größe: Er kommt auf etwa zwei Millionen Autos pro Jahr, mit Chrysler zusammen erreicht er nicht einmal die 4-Millionen-Schwelle. Das ist zu wenig in dem hart umkämpften Markt, in dem Marchionne selbst die Latte fürs Überleben auf 6 Millionen gelegt hat. Daran wird auch der Krieg gegen Arbeitnehmer und unbotmäßige Gewerkschaften nichts ändern.

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