Streit der Woche: Dürfen Lehrer schreien?
Grundschullehrerin Ursula Sarrazin beklagt das sinkende Niveau der Schüler und fordert mehr Gehorsam. Ihre Vorstellungen von Pädagogik provozieren Kritik.
Das Wochendende steht kurz vor der Tür, die ganze Schulklasse ist etwas überdreht. In der ersten Reihe steckt jemand seiner Nachbarin einen Stift ins Ohr, die kreischt und wirft ihm ein Pausenbrot an den Kopf. Den Lockenkopf dahinter stört das nicht – er schnarcht friedlich. Seine Haare sind voller Papierkügelchen, die von ganz hinten kommen, wo schon Nachschub geformt wird.
Eine Kugel fliegt zu weit und trifft die Lehrerin. Und der platzt der Kragen. "Jetzt ist Schluss!", brüllt sie. Plötzlich Totenstille. Der Schnarcher zuckt zusammen. Jeder weiß, dass in Schulen geschrien wird. In vielen Klassen ist der Lärmpegel hoch – Hörstürze und chronische Ohrgeräusche kommen bei Lehrerinnen und Lehrern besonders häufig vor.
Immer wieder werden Klagen einzelner Schulen über fehlende Disziplin laut. An der Berliner Rütli-Schule waren die Lehrer 2006 so verzweifelt, dass sie die Schließung der eigenen Schule vorschlugen. Heute, vier Jahre nach dem Hilferuf, präsentiert sich der Campus Rütli als Vorzeigeschule moderner Pädagogik.
Aber die Diskussion um Disziplin im Unterricht kommt wieder. Die Grundschullehrerin Ursula Sarrazin, die Frau von Thilo Sarrazin, beklagt das sinkende Niveau der Schüler und fordert, dass Lehrer für Gehorsam der Schüler sorgen müssen. Gegen Ursula Sarrazin wurden Anschuldigungen von Eltern laut, sie sei autoritär und habe Schüler verhöhnt. Die Lehrerin wehrt sich.
Was Politiker, Wissenschaftlerinnen und Prominente zu der Streitfrage sagen, lesen Sie in der sonntaz vom 29./30. Januar. Zusammen mit noch mehr Seiten, mehr Reportagen, Interviews und neuen Formaten. Die sonntaz kommt jetzt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo.
Darunter liegt die Diskussion, welche Pädagogik an deutschen Schulen vorherschen soll. Welche Grenzen Kinder brauchen. Im Pädagogikstudium wird Schreien als einschüchternde Gewalt verstanden. Der Lehrer und Autor Stephan Serin schreibt dagegen etwa, seine Schüler würden regelmäßig von ihm fordern, er schreie, weil sie bei dem Lärm in der Klasse nichts verstünden. Serins Buch „Föhn mich nicht zu“, ein Bericht „aus den Niederungen der deutscher Klassenzimmer“, steht momentan in der Spiegel-Bestsellerliste.
Was meinen Sie: Wie weit können Lehrende ihren Schülern gegenüber gehen? Dürfen Lehrer schreien?
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip