: Der Ausstieg aus dem sozialen Wohnungsbau
Die Fehlbelegungsabgabe im sozialen Wohnungsbau wird bis 2010 schrittweise abgeschafft. CDU-Bauminister will so problematische Quartiere stabilisieren. SPD, Grüne und Mietervereine dagegen: „Rasenmähermethode unsozial“
DÜSSELDORF taz ■ Als eines der letzten Bundesländer steigt NRW aus der Fehlbelegungsabgabe im sozialen Wohnungsbau aus. Die Ausgleichszahlung, die für Singles bereits ab einem Jahreseinkommen von 18.000 Euro fällig wurde, wird bis 2010 durch Anhebung der Bemessungsgrenzen schrittweise abgeschafft (siehe Kasten). Die Abgabe sei angesichts tausender leer stehender Wohnungen nicht mehr zeitgemäß, so NRW-Bauminister Oliver Wittke (CDU).
Unterstützung erhält Wittke von Sozialwissenschaftlern wie etwa dem Düsseldorfer Politikprofessor Volker Eichener. „Längst überfällig“ sei die Abschaffung der „in sozialer Hinsicht problematischen“ Ausgleichszahlung, meint Eichener, bis 1999 Geschäftsführer des Instituts für Stadt- und Regionalentwicklung an der Universität Bochum: „Wir haben kein quantitatives Versorgungsproblem, sondern eines der sozialen Mischung.“ Die Fehlbelegungsabgabe bestrafe sozialen Aufstieg – einen Wohnberechtigungsschein für Sozialwohnungen erhält nur, wer ein geringes Einkommen nachweisen kann. Als Folge zögen gerade noch intakte Familien aus Problemquartieren weg, werde die Entstehung von „Ghettos“ gefördert, klagt Eichener. „Es gibt doch schon ganze Wohnanlagen, wo morgens niemand aufsteht, um einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.“
SPD und Grüne kritisieren die Abschaffung der Fehlbelegungsabgabe dagegen heftig. „Wittke ist der Totengräber der sozialen Wohnungspolitik“, sagt Horst Becker, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der Grünen im Düsseldorfer Landtag. „Wenn 2009 selbst der Minister mit seinem Einkommen eine Sozialwohnung beziehen kann, wird die von ihm zitierte ‚Lidl-Verkäuferin‘ schnell auf der Straße sitzen.“ Die Abgabe trage stark zur Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus bei, sei mit 45,4 Millionen Euro höher als der Bundeszuschuss von 44,3 Millionen. Statt die Ausgleichszahlung völlig abzuschaffen, sollte besser vor Ort über deren Einsatz entschieden werden, findet auch Dieter Hilser, wohnpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. „Die Städte wissen am Besten, für welche Sozialwohnungen die Fehlbelebungsabgabe notwendig ist und welche davon freigestellt werden sollten.“
Helmut Lierhaus vom Mieterforum Ruhr sieht das genauso: „Bei Sozialwohnungen denken alle an Hochhaussiedlungen am Stadtrand“ – dabei gebe es auch in vielen attraktiven Lagen in Innenstadtnähe Sozialwohnungen. „Und für solche Wohnlagen ist die Fehlbelegungsabgabe auch an den Stammtischen durchsetzbar.“ CDU-Bauminister Wittke argumentiere ideologisch, verfahre nach der Rasenmähermethode: „In Problemstadtteilen werden Ausgleichszahlungen doch längst nicht mehr erhoben“, so Lierhaus: „Wittke betreibt gezielt den Ausstieg aus jedem sozialen Wohnungsbau.“
ANDREAS WYPUTTA