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Archiv-Artikel

Aufklärung und Jungenarbeit

Die Zufluchtsstätte Papatya bietet jungen Migrantinnen Schutz bei familiären Konflikten. Orte wie dieser sind dringend nötig. Die Erfahrung zeigt auch, dass Gesetzesänderungen allein nicht helfen

Interview von Alke Wierth

taz: Frau G., Papatya bietet Schutz für neun Mädchen. Sind die Plätze immer belegt?

Belma G.: Meistens. Die Mädchen bleiben ja nicht lange bei uns, denn wir sind eine Kriseneinrichtung. Manche gehen zurück in die Familie. Gespräche mit den Eltern sind immer unser erster Versuch, die Probleme zu lösen. Klappt das nicht, gehen sie in dauerhafte Einrichtungen.

Wie viele gehen denn zurück in ihre Familien?

Ungefähr die Hälfte, aber viele davon kommen später wieder. Gerade Dreizehn-, Vierzehnjährigen fällt ein Bruch mit der Familie schwer. Ist die Tochter einmal geflüchtet, versprechen Eltern häufig alles, damit sie wieder nach Hause kommt. Das wird aber oft nicht gehalten.

Aus welchen Gründen kommen die Mädchen?

Viele haben langjährige Erfahrung mit seelischer und körperlicher, auch mit sexueller Gewalt. Jedes dritte Mädchen, das zu uns kommt, flüchtet vor einer Zwangsheirat. Diese Zahl steigt, was zum einen an der wachsenden Bekanntheit unserer Einrichtung liegt, zum anderen aber sicher auch an den stärkeren Aufklärungsmaßnahmen. Das Bewusstsein, ein Unrecht zu erleiden, hat sich verstärkt.

Gibt es nach Ihren Beobachtungen einen Zusammenhang zwischen Zwangsverheiratungen und Religion?

Nicht unbedingt. Zu uns kommen auch christliche Mädchen, Aramäerinnen aus der Türkei oder Orthodoxe aus dem ehemaligen Jugoslawien. Die Religion spielt jedoch eine Rolle als Trägerin patriarchaler Familienstrukturen.

Warum sagen die Mädchen nicht einfach Nein?

Die Mädchen, die zu uns kommen, sind nicht zum Widerspruch erzogen worden. Sie werden selten nach ihrer Meinung gefragt. Oft gibt es überhaupt wenig Kommunikation mit den Eltern, mit dem Vater schon gar nicht. Wenn sie Nein sagen, und viele versuchen das, drohen sogar mit Selbstmord, wird das nicht ernst genommen. „Du wirst ihn schon lieben“, heißt es dann oft.

Weil das bei den Eltern so war?

Genau. Das entspricht der persönlichen Lebenserfahrung der Eltern. Und wenn sie sehr jung verheiratet werden, sind die Mädchen oft auch erst mal stolz: Sie stehen im Mittelpunkt, sie sind erwachsen. Sie erhoffen sich eine Verbesserung ihres Status. Dass das nicht klappt, merken sie erst später. Für uns sind deshalb solche Minderjährigen-Ehen eigentlich nie freiwillig.

Das Heiratsalter in Deutschland liegt doch bei 18 Jahren?

Das stimmt. Auch in der Türkei ist es so. Aber das kann umgangen werden, indem zunächst eine religiöse Ehe und erst später eine standesamtliche geschlossen wird. Die ist nur dann wichtig, wenn ein Ehepartner aus dem Ausland nachziehen soll. Aber auch da haben wir minderjährige Bräute, zum Beispiel aus dem Libanon. Da dürfen mit Einwilligung der Eltern Mädchen ab neun und Jungen ab zwölf Jahren verheiratet werden.

Um den Ehegattennachzug zu beantragen, muss eine Ehe aber doch hier noch mal bestätigt werden?

Ja, da gibt es internationale Abkommen. Grundsätzlich ist eine im Ausland geschlossene Ehe auch in Deutschland gültig, wenn sie legal geschlossen wurde und hier nicht gegen die öffentliche Ordnung verstößt. Dann liegt es im Ermessen von Beamten oder Richtern, einzuschätzen, wer reif genug ist.

Mit Strafverfolgung und Aufklärung sollen Zwangsverheiratungen verhindert werden. Was halten Sie davon?

Gesetze sind ein gutes Signal, aber mehr auch nicht. Die Mädchen, die zu uns kommen, wollen nicht gegen ihre Eltern vor Gericht ziehen. Sie wollen Hilfe.

Was wäre Ihrer Meinung nach sinnvoll?

Die Aufklärung der Mädchen muss ganz früh, schon in der Grundschule ansetzen. Und vor allem wünschen wir uns ganz viel Jungenarbeit.