Streit auf Wikipedia: Geguttenbergte Werke
Plagiat oder Remix? Was im Fall Guttenberg zum Politikum wurde, sorgt in der Online-Enzyklopädie Wikipedia immer wieder für Streit. Nun hat ein Buchautor Strafanzeige gestellt.
Eigentlich war der Streit schon ein halbes Jahr vorbei. Damals hatte Georg Zoche seine dreimonatige Stippvisite in der Online-Enzyklopädie Wikipedia beendet. Auf GeorgZoche&diff=prev&oldid=79872384:seiner Benutzerseite beklagte der Ingenieur aus München Mobbing und die Löschung seiner Arbeiten.
Im Zuge der Mediendiskussion um die Plagiatsaffäre des Karl-Theodor zu Guttenberg fasste Zoche jedoch neuen Kampfgeist: Wikipedia-Autoren hätten seine Urheberrechte verletzt, schreibt er in einer Strafanzeige gegen insgesamt fünf Wikipedia-Autoren: "Ein Artikel der Internetseite Wikipedia zitiert aus einem von mir verfassten Buch, ohne dass diese veröffentlichten Zitate dem Urheberrecht entsprechend gekennzeichnet sind." Oder wie er es in der Wikipedia selbst formuliert: sein Werk sei geguttenbergt worden.
Quelle des Streits ist der Wikipedia-Artikel über die Rede des Reichswirtschaftsministers Walther Funk mit dem Titel "Die wirtschaftliche Neuordnung Europas" – ein Exotenthema, das bis heute kaum Leser angezogen hat. Für Zoche jedoch ist die Rede ein einschneidendes historisches Dokument, das er auch in seinem Buch mit dem Titel "Welt Macht Geld" behandelt. Hierin beschreibt er seine Theorien zu den schädlichen Wirkungen der Weltleitwährung US-Dollar und skizziert seine Vision einer Weltleitwährung als Ausweg aus der Krise.
Doch bei den Wikipedianern kamen die Thesen des Autodidakten nicht gut an. Die Literatur Zoches sei für die enzyklopädische Aufarbeitung der komplizierten Materie ungeeignet, heißt es in den Artikeldiskussionen. Statt enzyklopädischer Artikel schreibe Zoche Essays, die der Theoriefindung dienten – eine Todsünde in der Wikipedia, die sich der objektiven Information und der etablierten Wissenschaft verschrieben hat.
Der Ton wird zunehmend gereizt. Der Nutzer Meisterkoch Wirtschaft/Wartung/Archiv/2010/September#Bancor:schreibt an Zoche: "Du, dein komischer Klub und dein Buch sind hier total falsch, irrelevant und will keiner sehen." Eine Möglichkeit zur Mitarbeit sieht er erst gar nicht: "Bitte verschone Wikipedia von deinem irrelevanten Käse." Was Zoche auch schließlich tut – zumindest bis staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Guttenberg zum Medien-Thema werden.
Viele Chancen hat die Strafanzeige freilich nicht. Nur zwei Sätze im Artikel entsprechen weitgehend der von Zoche eingestellten Version – ob dies die erforderliche Schöpfungshöhe für eine Urheberrechtsverletzung erfüllt, ist zweifelhaft. Zudem hatte Zoche die Nutzungsbedingungen von Wikipedia akzeptiert. "Wer Texte in die Wikipedia einstellt, stellt sie unter eine freie Lizenz, die eine Weiterbearbeitung und Weiternutzung erlaubt", erklärt Martina_Nolte:Wikipedia-Autorin Martina Nolte, die zu den Angezeigten gehört.
Im Endeffekt heißt das: Ob Zoche die Texte aus dem eigenen Buch entnommen habe, spielt keine Rolle. Die Autoren eines Wikipedia-Artikel haben nur ein Recht darauf, in der Versionsgeschichte eines Artikels genannt zu werden. Hier wird Zoche aber nur auf Umwegen genannt. Ausgerechnet die stets wachsamen Plagiatswächter bei Wikipedia hatten die ersten Versionen des Artikels gelöscht. Sie entdeckten, dass die Formulierungen aus einem Buch stammten, konnten den Autoren aber nicht eindeutig zuordnen. Folge: Zoches Anteile an dem Artikeltext sind deshalb nicht mehr leicht zu erkennen.
Nachdem die Strafanzeige bekannt wurde, sperrte ein Administrator Zoches Benutzerkonto. Die Logbuch&type=block&page=Benutzer%3AGeorgZoche:Begründung ist kurz und knapp: "Stellt Strafanzeigen gegen andere Benutzer um seine Meinung durchzusetzen". Dies ist eine weitere Todsünde für Wikipedianer. Eine friedliche Lösung zwischen den streitenden Autoren scheint damit auf absehbare Zeit ausgeschlossen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen