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Archiv-Artikel

Christkind im Schützengraben

POLITISCHE WEIHNACHT Wie Weihnachten und Propaganda zusammenpassen zeigt die Kölner Ausstellung „Von wegen Heilige Nacht!“. Eine private Sammlung lieferte den Anstoß

Auf Flohmärkten fand Rita Breuer vor 25 Jahren Glasanhänger in Bombenform. Ihr Interesse war geweckt

VON JÜRGEN SCHÖN

„Lasst Eurer Fantasie freien Lauf und malt Bilder, die allen eine Freude machen, die die Weihnachtstage im Auslandseinsatz verbringen.“ So sorgte sich die Bundeswehr in diesem Jahr und rief die „Kinder von Bundeswehrangehörigen und der Bundeswehr Nahestehenden“ zum Malwettbewerb auf. Gerade in der Weihnachtszeit brauchen Soldaten an der Front Trost und Gefühl aus der Heimat, sollen sie ihre Kampfmoral behalten.

Die Bundeswehr steht dabei – nolens volens – in einer langen Tradition. Und die beginnt in Deutschland im deutsch-französischen Krieg 1870/71. Das kann man dieser Tage in der Ausstellung „Von wegen Heilige Nacht!“ im Kölner NS-Dokumentationszentrum lernen.

Offiziere organisierten damals für ihre Truppen Feiern mit Weihnachtsbäumen, die bis dahin eher bei Adel und Bürgertum üblich waren, um der Kriegsmüdigkeit zu entkommen. Fotos von den Festen erschienen in Zeitschriften und stärkten so die Bindung zwischen Front und Heimat. Im Ersten Weltkrieg war die Verbindung von Politik und Weihnachten ausgefeilter. „Deutsche Art ist es, Weihnachten zu feiern. Keiner unserer Feinde kennt den Zauber, die Macht des Lichterbaums auf unser Gemüt, auf unsere Kraft.“ So meinte 1915 ein Kavalleriekommandant. Mit Christbaumschmuck in Form von Granaten, Bomben oder Flugzeugen zeigte die Heimat ihre Verbundenheit mit den Soldaten. Und die antworteten mit Postkarten von Weihnachtsfeiern im Lazarett, die ihre gute Versorgung bezeugten. Unterm Tannenbaum lagen Zinnsoldaten für die Kinder, dem Ehemann an der Front schickte man eine Karte mit dem Christkind im Schützengraben. Es war Christenpflicht, für den Kaiser zu kämpfen.

Ein Zufall am Anfang

Zeugnisse aus diesen beiden Kriegen gehören zu den ältesten Objekten, die Rita Breuer seit gut 25 Jahren zusammengetragen hat. Sie kam eher aus Zufall dazu, als sie ihrem Mann den Wunsch nach einem Weihnachtsbaum „wie bei Oma“ erfüllen wollte. Dafür suchte sie auf Flohmärkten alten Christbaumschmuck und fand „Erschreckendes“: Glashänger in Bombenform oder mit Hakenkreuzen. Das Interesse war geweckt, sie kaufte alles, was mit Weihnachten und Politik zu tun hatte. Bald stieg Tochter Judith ein. Heute dürften die beiden wohl die größte Sammlung dieser Art besitzen, die gleichzeitig auch die Grundlage zur wissenschaftlichen Erforschung des bislang eher am Rande behandelten Themas „Weihnachten und Propaganda“ im deutschen Raum ist. Diese Sammlung ist nun in der Kölner Ausstellung zu sehen.

Die Nazis taten sich schwer mit dem christlichen Fest. Sie „entdeckten“ das germanische Julfest zur winterlichen Sonnenwende als Vorläufer der christlichen Weihnacht – „reine Erfindung“, so Judith Breuer. Den heiligen Nikolaus ersetzten sie durch den geschenkebringenden Schimmelreiter. Statt Christstollen gab es runenförmiges „Sinngebäck“, der Christbaum wurde zur Jultanne, aus Maria mit dem Jesuskind das Symbol für Mutter und Kind schlechthin, passend zur Naziideologie von der Frau als Gebärmaschine und Hüterin der Familie.

Zugleich bauten die Nationalsozialisten um das Weihnachtsfest mit dem Winterhilfswerk ein soziales Netz auf. Mit reich bebilderten Zeitungsreportagen wurden die Feiern an der Front propagandistisch ausgewertet, auf den Kriegspostkarten wurde jede christliche Anspielung vermieden. Weihnachtslieder wurden umgetextet, aus „Jesus, der Retter, ist nah“ im Klassiker „Stille Nacht“ wurde „jetzt werdet Lichtsucher alle“. Doch hatten die Nationalsozialisten mit ihrer Entchristlichung wenig Erfolg.

Politisch ein weites Feld

Auch nach 1945 wurde Weihnachten als politisches Feld benutzt. Die reichen Westdeutschen schickten Päckchen in die arme Ostzone. Dort versuchte man vergeblich, Nikolaus durch das russische Väterchen Frost zu ersetzen und verdiente sich Devisen durch den Export von „Jahresendzeitfiguren“ aus dem Erzgebirge. Die 68er wandten sich gegen den weihnachtlichen Konsumterror und propagierten „Advent, Advent, ein Kaufhaus brennt“.

Inzwischen werben deutsche Neonazis ungeniert für Weihnachtsprodukte aus der NS-Zeit, und deutsche Soldaten sind im Ausland stationiert. Sie verschicken per Feldpost Weihnachtsgrüße aus dem Kosovo, aus Mogadischu und Afghanistan. Die Breuers sind auf dem Laufenden – nur die diesjährigen Weihnachtsbilder aus bundeswehrnaher Kinderhand fehlen noch.

■ Bis 17. 1. 2010 im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln