: „Iran braucht eine Abrüstungskonferenz“
Der gesamte Nahe Osten müsste atomwaffenfreie Zone werden, sagt die Rüstungsexpertin Xanthe Hall. Kurzfristig können Verhandlungen über Irans Atomprogramm Erfolg haben, wenn sie nicht von Drohungen begleitet werden
taz: Frau Hall, Moskau hat einen neuen Vorschlag gemacht, den Konflikt um das iranische Atomprogramm zu lösen: Iran darf Uran umwandeln, die eigentliche Anreicherung wird aber in Russland vorgenommen. Ist das ein Ausweg – oder ist doch ein militärischer Angriff zu befürchten?
Xanthe Hall: Ein militärischer Angriff ist vorerst nicht zu erwarten. Die USA haben erklärt, dass sie die diplomatischen Initiativen, auch die Russlands, unterstützen. Sie werden also erst einmal die Ergebnisse der Verhandlungen abwarten.
Abwarten, bis die Russen wie die Europäer scheitern?
Ja, anders als beim Irakkrieg kann die Regierung Bush sich dieses Mal einen Alleingang nicht leisten. Zudem muss sie die Stimmung im eigenen Land und international vorbereiten, Fakten vorlegen, um die Menschen von der Notwendigkeit eines Angriffs zu überzeugen.
Die Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) haben bisher keine Gründe für eine militärische Intervention gefunden …
… dennoch sehen wir, dass die US-Regierung alle paar Tage eine Nachricht lanciert, die Schlagzeilen macht. Etwa die Nachricht von einem gestohlenen Laptop, der Hinweise auf Nuklearwaffenpläne enthalten soll. Letzte Woche berichteten Medien über Pläne zum Bau von Bestandteilen einer Atombombe, die Iran in den 80er-Jahren von Pakistan erhalten haben soll. Oder es werden Ängste erzeugt, in dem behauptet wird, Iran arbeite mit al-Qaida zusammen und unterstütze die Attentate im Irak. In dieser Situation kamen auch die unsäglichen Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten hinzu, Israel solle von der Landkarte getilgt werden. Sollte nun Russlands Vermittlungsversuch scheitern, wird der UN-Sicherheitsrat eingeschaltet. Dann würde wohl selbst ein Veto Russlands oder Chinas die USA nicht davon abhalten, die Sache in die Hand zu nehmen.
Was wollen die Amerikaner eigentlich?
Wenn ich das wüsste! Präsident Bush hat ja immer wieder erklärt, er wolle die Welt von Tyrannei befreien und überall die Demokratie einführen. Ich bin davon überzeugt, dass es in erster Linie weltanschauliche Motive sind, die Bush und die Neokonservativen antreiben.
Die IAEA und ihr Generalsekretär al-Baradei haben in diesem Jahr den Friedensnobelpreis bekommen. Zu recht?
Ich schätze die Arbeit der Behörde hoch – doch ist sie oft befangen. Es gibt Länder, wie Frankreich oder Japan, in denen kiloweise Plutonium herumliegt. Das kümmert die Behörde aber nicht. Auch Israel wird so gut wie gar nicht kontrolliert. Dagegen lösten ein paar Gramm Plutonium in Nordkorea gleich eine internationale Krise aus. Daraus scheint die IAEA gelernt zu haben. Sie geht im Iran nicht so konfrontativ vor und bauscht nicht jeden Verdacht auf. Ich nehme sogar an, dass es Verdachtsmomente gibt, über die sie bislang keine Berichte vorgelegt hat. Sie will, dass die Verhandlungen fortgesetzt werden.
Gibt es im Iran wirklich Hinweise auf Nuklearwaffenpläne?
Solche Pläne gibt es fast in jedem Land. In den 60er- und 70er-Jahren gab es in vielen Ländern solche Programme, zum Beispiel in Spanien, in der Schweiz, in Schweden. Auch in Deutschland existierten solche Geheimpläne. Es wäre seltsam, wenn Iran eine Ausnahme bilden würde.
Also will Iran doch die Bombe bauen.
Die Iraner wollen auf jeden Fall die Option dafür haben. Deswegen bestehen sie darauf, den nuklearen Brennstoffkreislauf im eigenen Land herzustellen. Auch Nordkorea hat die Option aufgebaut, und sobald es zu Konfrontation führte, behauptet, bereits im Besitz der Bombe zu sein. Niemand weiß, ob diese Behauptung stimmt, aber sie bietet eine exzellente Verhandlungsposition. Auch Iran hätte eine viele bessere Position, wenn er die Option auf die Bombe hätte.
Und nun?
Man sollte mit Iranern nicht reden, als seien sie Esel. Diese Mischung von Verhandlung und Drohung funktioniert nicht. Man muss Iran versichern, dass es keinen Krieg geben wird, dass niemand das Recht hat, das Land anzugreifen, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass es die Atombombe plant. Man muss die Basis für die Diskussion ändern.
Wie könnte eine Lösung letztlich aussehen?
Entweder müsste man allen Ländern die Nutzung der Atomenergie verbieten – das wäre am besten, ist aber nicht durchführbar. Also muss auch Iran das Recht auf Brennstoffherstellung bekommen, unter verschärften Kontrollen der IAEA. Zusätzlich ist gründlich abzusichern, dass Iran die Mitgliedschaft im Atomsperrvertrag nicht kündigt. Das wäre zumindest eine Zwischenlösung.
Und die langfristige Perspektive?
Man bräuchte eine Konferenz, wie damals die KSZE, für die gesamte Region. Nach und nach könnten die Waffenarsenale, auch die Massenvernichtungswaffen, abgebaut und die gesamte Region zur atomwaffenfreien Zone erklärt werden. Ein solches Paket würde Irans Rechte berücksichtigen und gleichzeitig das Sicherheitsbedürfnis aller Staaten der Region, also auch Israels, befriedigen.
INTERVIEW: B. NIRUMAND